Sozial-ökologischen Wandel unternehmen – Wie die GLS Bank Wirtschaft anders denkt und umsetzt.

Am 14.11.22 erhält Thomas Jorberg den Preis „European Banker of the Year“. Der Laudator Günther Bräuning, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der KFW, beschreibt die GLS Bank mit den Worten aus Herbert Grönemeyers Song:

Da wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld.

Den Preis erhält der langjährige Vorstandssprecher einige Wochen vor seinem Abschied aus der Bank. Mit „Beständigkeit, Pioniergeist und einem stringenten Festhalten am Geschäftsmodell“ (so Tim Bartz von Der Spiegel) hat er das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten konsequent und unbeirrt in ein starkes Wachstum mit einer Bilanzsumme von aktuell rund 10 Mrd. Euro geführt. Rund 900 Angestellte und über 300.000 Kund*innen realisieren gemeinsam Zukunftsbilder einer sozial-ökologischen Gesellschaftsgestaltung.

Mit der Auszeichnung zum „European Banker of the Year“ setzt die Jury im krisengeschüttelten Jahr 2022 ein klares Signal in die Richtung der Finanzbranche und Wirtschaftswelt. Denn trotz des ganzen Wissens, der Technologie und dem vielen Geld in den Märkten handelt der Großteil der Wirtschaftswelt noch nicht so, dass er die Lebensgrundlagen für Mensch und Natur kurz- bis langfristig schützt und entwickelt. Im Gegenteil. Das Finanzsystem ist zum heutigen Stand ein von der Realwirtschaft entkoppeltes Konstrukt, in dem Geldschöpfung auch auf Kosten von Mensch und Natur gehen kann.

Die meisten Führungskräfte haben mittlerweile ein Bewusstsein für diese Schieflage. Zu anderem Handeln reicht diese Einsicht jedoch noch nicht (vgl. Otto Scharmer). Erfahrungswelt und Handeln klaffen auseinander. 

Ich habe im Jahr 2022 mit meinem Kollegen Julian Wildgruber den Abschiedsprozess von Thomas Jorberg und den Erneuerungsprozess der Bank mit unserer kulturkreativen Arbeit begleitet (mehr dazu hier). Dabei war ich sehr inspiriert von der Art, wie anders Wirtschaft und Banking hier gedacht und gelebt werden. Ich glaube und hoffe, dass sich viele Akteure in der Wirtschaft für ihren Schritt raus aus der Schieflage einiges bei der GLS Bank abschauen.

Ökonomie als ein Instrument und nicht als Selbstzweck sehen

Die Gründer*innen der GLS Bank engagierten sich in den 1950ern/ 1960ern mit dem Aufbau freier Waldorfschulen, weiterer sozialer Einrichtungen und von Demeter-Höfen. Irgendwann waren sie an den Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten angekommen. Um Geld im größeren Stil als soziales Gestaltungsmittel nutzen zu können, gründeten sie 1974 die GLS Bank – Gemeinschaftsbank fürs Leihen und Schenken. Geld ist für die Menschen da. Nicht andersherum.

Ökonomie ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.

Eine kleine Erinnerung: Unsere Wirtschaftssysteme sind menschengemacht und damit künstlich und veränderbar. Die GLS Bank nutzt Geld, Bank, Wirtschaft und Profite konsequent und schon immer als Instrumente, um eine sozial-ökologisch nachhaltige Gesellschaft zu gestalten. Dieser Dreh macht den wesentlichen Unterschied zu Organisationen, die Geld und Profite als Selbstzweck verstehen.

Mit Zukunftsbildern arbeiten

Vorstellungskraft ist im Gründungsimpuls tief verankert. Das Zitat des Gründers der GLS Bank, Wilhelm-Ernst Barkhoff, ist in der Bank allgegenwärtig:

Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder von einer Zukunft, die wir wollen.

Im Bereich Wohnen, Bildung, Energie, Mobilität, Ernährung und Nachhaltiges Wirtschaften entwickeln die Menschen in der GLS Gemeinschaft immer wieder Bilder, die ihnen als Leitstern für Initiativen, Projekte und auch alltägliche Herausforderungen dienen. Gut formuliert werden Zukunftsbilder zur Inspiration und dienen als Kraftquelle. Ein Zukunftsbild zum Krieg ist nach Thomas Jorberg beispielsweise nicht Nicht-Krieg, sondern Frieden und gemeinsame Kultur, ein freies Geistesleben in all seiner Vielfalt. Ein Zukunftsbild zum Klimawandel ist nicht ein Nicht-Zerstören der Natur, sondern ein Leben im Einklang mit ihr, in der Menschen die Natur pflegen und entwickeln.

Soziale Innovationen unternehmerisch angehen

Das Auseinanderklaffen von Erfahrungswelt und kollektivem Handeln zeigt, wie notwendig neue Formate von sozialen Designs, Partizipation und Kokreation sind. Auch vorrangig technologische Projekte scheitern oder gelingen mit ihren sozialen Prozessen. So müssen beispielsweise die Planung und der Bau eines Windparks einem sozialen Design folgen, um Projektentwickler, Grundstückseigentümer, Gemeinde, Bürger, Vogelschützer, etc. konstruktiv gestalten zu lassen. Ein schönes Beispiel ist die Geschichte der Elektrizitätswerke Schönau. Entschlossene Initiatoren, bürgernahe Veranstaltungen, Bürgerentscheide und genossenschaftliche Organisationsstrukturen ermöglichten die Übernahme des Stromnetzes und den massiven Ausbau regenerativer Energie mitten im Schwarzwald. Grundsätzlich ist die partizipative Einbindung von Politik und Zivilgesellschaft für die GLS Gemeinschaft in zahllosen Projekten das Erfolgskriterium.

Die soziale Frage kommt mit einer Wucht auf uns zu. (Aysel Osmanoglu)

Doch es wird immer heißer, je näher wir den echten sozialen Fragen kommen, z.B. dem Auseinanderfallen von Arm und Reich. Mitarbeitende der GLS Bank gehen in die sozialen Ränder, um gemeinsam Lösungen zu finden. Mit Initiativen wie dem „Netzwerk der Wärme“ experimentieren die Bank und ihre privaten, politischen und zivilgesellschaftlichen Partner mit zukunftsfähigen Formaten. Tatsächlich ist es ein „experimentieren“: Soziale und sozial-ökologische Innovationen sind vernetzt und interdisziplinär. Kollektives Handeln bis hin zu den Rändern der Gesellschaft braucht eine rechtliche und finanzielle Abbildung dieser Vernetzung. Vorhandene multilaterale Netzwerke sind allerdings meist rechtlich und finanziell noch bilateral organisiert. Die GLS Bank ist täglich mit neuen Formaten und sozialen Designs herausgefordert und dabei immer wieder an den eigenen organisatorischen Grenzen. Oft muss es auch über diese Grenzen gehen. Die GLS Treuhand ist zum Beispiel eine ganz wesentliche Ergänzung an der Seite der Bank und treibt mit „Schenkgeld“ den sozialen Wandel voran.

Die Zahlen beherrschen – nicht andersherum

Beherrsche Deine Zahlen, bevor sie Dich beherrschen.

Diese Aussage habe ich in der GLS Bank immer wieder gehört. Aus meiner früheren Erfahrung in größeren Konzernen und anderen Unternehmen weiß ich, wie schnell sich das Blatt drehen kann. Zahlen können das Handeln der Menschen bestimmen und vorgeben. Doch die Ausrichtung auf kurzfristige Profite oder auf bestimmte Wachstumgsparameter bzw. auf vergangenheitsbezogene Fortschreibungen führt zu verengten Blickwinkeln. Methoden schließen dabei von vornherein Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten aus, die wesentlich für die Lösung aktueller Probleme und wirklich neue Ansätze wären.

Messbare Ziele haben auch in der GLS Bank einen großen Stellenwert. Doch sie gehen weiter. Experten in der Bank sind seit Jahren dabei, zunehmend das in Zahlen auszudrücken, was bisher nicht berücksichtigt wurde. So kann sich die Wirkungstransparenz immer mehr dem annähern, was der Wirklichkeit entspricht. Ein Beispiel ist die Berücksichtigung der Pflege, des Erhalts und des Aufbaus von Bodenfruchtbarkeit als Vermögenswert in der Landwirtschaft. Diese spielt bei den Jahresabschlüssen für konventionelle Banken keine Rolle, was weder ökologisch noch langfristig finanziell Sinn macht. Mit dem Ausbau von Wirkungstransparenz und der Bilanzierung von echten Kosten und Risiken für Gesellschaft und Zukunft, z.B. durch die Abtragung von Boden, Überschwemmungen und Dürren, macht die GLS Bank Pionierarbeit.

Respektvoll geht die Bank jedoch auch mit dem um, was wahrscheinlich niemals in Zahlen übersetzt werden kann. Geteilte und gelebte Werte, Beziehungen, Vernetzung, Verbindung, Ideen, Kreativität, Menschlichkeit, Fürsorge, Vorstellungskraft, Herzlichkeit und das Wesen der Bank wirken, ohne gemessen zu werden. Wenn die Zahlen uns beherrschen, wird diese Welt der inneren Dimension vergessen. Dabei geht es nicht ohne. Die innere Dimension wirkt per se in allen lebendigen Systemen (vgl. AQAL Modell Ken Wilber), nur wie?

Die innere Dimension des Wandels wahrnehmen und als Kraftquelle nutzen

Jenseits der Zahlen ist die „seelisch-kulturelle Krise“ wahrnehmbar, die „eigentlich all den überlagerten Krisen unserer heutigen Zeit zugrunde liegt“ (Thomas Jorberg). 

Wenn individuelles und kollektives Handeln im Einklang mit dem Denken, Fühlen und Wollen ist, dann erleben Menschen Stimmigkeit. Es ist innerlich schmerzvoll und zehrend, wenn die Harmonie von Körper, Seele und Geist nicht gegeben ist. Krankheit kann die Folge sein. Das gilt für den Einzelnen (z.B. mit Erschöpfung), aber auch als Kollektiv krankt unsere Gesellschaft (z.B. mit dysfunktionalen Wirtschafts, Gesundheits- oder Bildungssystemen, Krisen und Krieg). Das Handeln hat sich von der inneren Dimension getrennt. 

Schmerz und Krankheit können Treiber für Entwicklung sein, wenn wir sie angehen. Insofern sind Krisen auch oftmals Wendepunkte. Ein Zukunftsbild von Thomas Jorberg ist die ganzheitliche Gesundheit – innerlich und äußerlich, individuell und kollektiv. Die Benennung und Integration der inneren Dimension des Wandels – Bewusstsein und Kultur – ist parallel zur äußeren sichtbaren Dimension von Strategie, Organisation, Strukturen und Prozessen im Feld der GLS Bank immer schon wesentlich. Ich glaube, dass die GLS Bank aus der Bewusstseins-, Werte- und Kulturarbeit sehr viel Kraft bekommt, die sie braucht, um gegen den Strom zu schwimmen.

Im Rest der Wirtschaft ist eine Überbetonung der sichtbaren, äußeren Dimension ein Hauptgrund für die oben angesprochene Schieflage. Ins kollektiv innovative Handeln kommen wir nicht ohne die parallele Arbeit in der inneren Dimension. Hier stecken Kraft und Mut wirklich neue Wege zu gehen.

Mit der Quelle arbeiten

Bemerkenswert finde ich in der GLS Bank vor allem auch die Bewusstheit für die innere Dimension im Rahmen des bedeutenden Wechsels in der Führungsetage. Thomas Jorberg hat die GLS Bank jahrzehntelang begleitet, entwickelt und geprägt. Die „Beständigkeit, den Pioniergeist und das stringente Festhalten am Geschäftsmodell“ führe ich u.a. auf seinen inneren Zugang zur Quelle und zum Gründungsimpuls der Bank zurück (vgl. Frederic Laloux mit Verweis auf Peter König).

Die verantwortlichen Personen in der GLS Bank sind mit der „Quelle“ und deren Übergabe besonders achtsam umgegangen. Das brauchte Zeit und Raum für Arbeit, die kaum jemals „messbar“ werden wird.

Verarbeitung der Eindrücke

Wege finden, wo es scheinbar keine gibt. (Thomas Jorberg)

Unsere Zusammenarbeit mit Thomas Jorberg, mit Kolleg*innen in der Bank und mit Kund*innen der GLS Gemeinschaft haben wir 2022 unter anderem in einem Film verarbeitet. Er ist ab Februar 2023 öffentlich verfügbar. Wir hoffen, dass der Film dazu inspiriert, aus einem neuen, frischen, unbelasteten Denken und Fühlen mit Mut und Kraft ins individuelle und kollektive Handeln zu kommen und gemeinsam eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.

Im Februar wird der Film „Schütze die Flamme“ veröffentlicht!

Hier sind mehr Infos zu unserer kulturkreativen Arbeit in der GLS Bank.

(v.l.n.r.: Julian Wildgruber, Thomas Jorberg, Tanja Misiak, unser Tonmann Dominic Titus)