In meinem ziemlich wirbeligen Alltag mit meinem Job und einer kleinen Großfamilie mit drei Kindern zwischen 1 und 7 Jahren habe ich minütliche Herausforderungen. Ich stehe ständig zu Diensten und treffe laufend kleine und große Entscheidungen. Da ich sowohl in meinem Job als auch privat ständig mit Menschen zu tun habe, bin ich die ganze Zeit in Wechselwirkung mit anderen: und das ist komplex! Wie meistere ich meinen Alltag, in dem ich nicht nur meine eigenen Hochs und Tiefs habe, sondern auch die Hochs und Tiefs meiner Kinder und anderer Menschen aufgreife?
Achtsamkeit als Basis
Selbstwahrnehmung ist für mich die Basis. Ich halte oft inne, auch wenn es nur einige Sekunden zwischendurch sind. Ich frage mich, wie es mir geht und ob mein Akku noch geladen ist. Das klingt banal, ist es jedoch nicht. Viele Fässer laufen über, weil genau diese Sekunden des Innehaltens ausgeblieben sind. Das Innehalten ist gerade in einem herausfordernden Alltag so wichtig. Wie sonst könnte ich meinem Umfeld in meiner besten Version zur Verfügung stehen?
Der selbstnahe Zustand
Doch was bedeutet das überhaupt? Wann stehe ich denn in meiner besten Version zur Verfügung? Ich habe mich hier mit einem Modell angefreundet, dass aus der Psychotherapie kommt. Es heißt „Inner Family System“ nach Richard C. Schwartz. Hier wird vom „Selbst“ bzw. „selbstnahen Zustand“ gesprochen. Spirituelle Strömungen sprechen vom Höheren Selbst, was in die gleiche Richtung geht. Jeder gesunde Mensch kennt diesen Zustand, in dem er sein volles Potenzial auslebt und weiß, wofür er gerade da ist.
Ich würde den Zustand so beschreiben: Ich bin liebevoll, wohlwollend, mitfühlend, geduldig. Ich bin im Vertrauen, dass alles gut geht und kann auf meine Ressourcen zurück greifen. Ich bin kreativ und produktiv. Ich bin in meiner Kraft und freue mich übers Gestalten und Tätig-sein. Ich weiß, was ansteht und habe das Gefühl der Zukunft im Dienst zu stehen. Ich habe neue Gedanken und Bilder und traue mich diese durch mein Wirken Realität werden zu lassen.
Neue Möglichkeiten der Inneren Selbstführung
Die Basis für die Innere Selbstführung ist dieser selbstnahe Zustand. Nach der Theorie des IFS sind wir hier nicht mehr identifiziert mit hinderlichen Glaubenssätzen und Überzeugungen. Wir sind klar und haben einen weiten Blick. Wir können Ängste, Stress und einschränkende Gefühle wie die Eifersucht fühlen, ohne uns von ihnen überwältigen zu lassen. Wir halten sie aus, schauen hin, hören zu und arbeiten mit dem, was uns zeigt.
Menschen mit Meditationserfahrung kennen das wahrscheinlich. So kannte ich diesen Zustand schon ganz gut, wusste jedoch nicht bis zu meiner letzten Coaching-Weiterbildung, wie ich damit ganz bewusst und gezielt in meiner Innenwelt und auch gemeinsam mit Klienten arbeiten kann.
Großer Unterschied: Stress mit und ohne Selbstführung
Als Beispiel beschreibe ich, wie ich einer stressigen Situation mit Innerer Selbstführung begegne.
Ohne Innere Selbstführung passiert etwas im Außen, auf das ich innerlich schnell reagiere. Ein typischer Stressautomatismus fährt mal wieder sein Muster ab. Ich bin gestresst, fühle mich gestresst und kann mir in dem Moment auch nichts anderes vorstellen. Das Blöde: mit dieser Einstellung (toller Begriff!) werde ich tendenziell noch mehr Stress produzieren.
Bin ich etwas trainierter mit meiner Inneren Selbstführung, kann ich zwischen dem Stress auslösenden Reiz und meiner Reaktion einen kurzen Moment innehalten und eine Entscheidung treffen. Ich merke Gefühle in mir, von denen ich mich nicht überwältigen lasse: statt tatsächlich ungeduldig, wütend, hektischer, ängstlich oder gestresst zu werden halte ich diese anfängliche Gefühlswucht erst einmal nur aus. Körperlich merke ich, wie mein Atem flacher wird, wie eine Enge in der Brust entsteht, wie es mir die Kehle zuschnüren möchte. Meine Gedanken werden enger und ziehen sich in einen Tunnelblick hinein.
Doch lasse ich mich nicht darauf ein. Ich habe zwar gerade Stress in mir, bin jedoch nicht mit ihm identifiziert. Ich bin viel mehr als nur Stress. Der Tunnelblick stellt sich nicht ein. Statt dessen bleibe ich trotz einer möglicherweise herausfordernden Situation tatsächlich weiter wohlwollend und mitfühlend. Ich kann weiter fürsorglich mit mir selbst sein und in diesem Zustand auch für andere ganz zur Verfügung stehen. Ohne Innere Selbstführung wäre ich enger, gestresster und strenger zu mir selbst und meinem unmittelbar betroffenen Umfeld.
In weiteren Blogbeiträgen möchte ich beispielhaft beschreiben, wie wir mit Innerer Selbstführung unsere Alltagsherausforderungen besser meistern. Ich arbeite vor allem gerne mit Persönlichkeitsanteilen, um besser an die Energie ranzukommen, die Stress auslöst. Das werde ich demnächst noch detaillierter beschreiben.
Wie klingt das für Sie? Abgedreht oder werden Sie neugierig auf Ihre eigene Arbeit mit der Innenwelt?