Nach dem ersten Modul der Facilitate U Lernreise im virtuellen Raum gemeinsam mit Christine Wank und einer kleinen und feinen Gruppe an deutschlandweit verteilten Facilitatoren/ Coaches/ Consultants fühle ich mich mit neuen Einsichten reich beschenkt. In mir wirkt vor allem ein Eindruck deutlich nach: Professionalität und Herzintelligenz können in der Kombination Großes und wirklich Neues bewirken.
Um auf neue Ebenen in unserem Arbeits- und Wirtschaftsleben zu gelangen und das Neue in die Welt zu bringen, bringen wir uns als ganze Menschen ein, nutzen unsere „inneren Instrumente“ und ko-kreieren einen schöpferischen Prozess des Lebens selbst. Wir verabschieden uns von einem mechanistischen Weltbild, in dem wir ein „äußeres System“ reparieren wie eine Maschine. Wir Menschen können deutlich mehr als nur mit dem Verstand denken und analysieren. Wir können unseren ganzen Körper als Sinnesorgan nutzen und aus einem Feld der Liebe zum Leben neue Dimensionen des Zusammenlebens manifestieren. In der Facilitate U Lernreise geht es um das Trainieren unserer „inneren Instrumente“. So bringen wir das Neue in der Welt, statt immer nur mehr vom Gleichen zu produzieren.
Christine Wank vom Generative Facilitation Institute arbeitet seit mehr als 10 Jahren mit Kollegen des Presencing Institutes um Otto Scharmer mit dem Ansatz der Theory U, den sie im Bereich von Leadership Entwicklung, Change Facilitation sowie Dialog-, Innovations- und Strategieprozessen für Teams und Organisationen weiterentwickelt hat.
Ich reflektiere hier über den ersten Teil unserer Facilitate U Lernreise und gehe dabei auf einige Übungen ein, die wir gemacht haben. Besonders schön finde ich den Effekt der Theory U in allen Bereichen des Lebens. So kann ich mit dem U-Prozess ganz persönliche Fragestellungen bearbeiten sowie auch große Veränderungsprozesse in Organisationen begleiten.
Unsere inneren Instrumente
Die Qualität meiner Präsenz und meiner Aufmerksamkeit, meine innere Haltung und mein eigenes Gespür sind wesentlich für meine Wirkung in Veränderungsprozessen. Vor allem geht es darum, wie gut ich mit mir selbst in Kontakt bin, mit den anderen und mit der Welt. Wie Christine so schön sagte: „Dein effektivstes Facilitationtool ist Dein Selbst.“
Eine schöne Übung zur „Stimmung der inneren Instrumente“ machten wir mit den drei C’s, die Christine bereits eindrucksvoll in ihrem TEDx Talk in Amsterdam vermittelte. Hier geht es um Öffnungsprozesse für den schöpferischen Wandel.
Erstes C wie Curiosity
Wir können unseren „Curiosity-Muskel“ trainieren, in dem wir uns, unseren Mitmenschen und der Welt ganz bewusst mit Neugierde begegnen. Damit meint Christine ein reflektierendes und erforschendes Erkunden mit neugierigen Fragen. Ein Hindernis wäre der Modus des „Ich weiß schon alles“. Im Video beschreibt Christine den Modus als „Flirt mit den Möglichkeiten, ohne sie zu heiraten“. Wichtig ist der Kontakt zu uns selbst bei allen neugierigen Fragen. Bin ich wirklich offen dafür, auch eventuell meine eigenen Ansichten zu verändern oder zu verwerfen?
Zweites C wie Compassion
Mitgefühl ist unser zweiter Muskel – das zweite Instrument – den wir trainieren können. Christine stellt es der Empathie gegenüber. Es geht nicht ums „Mitleiden“. Wir bleiben gut in Kontakt mit uns selbst, in unserer Kraft und Energie. Im Mitgefühl fühlen und spüren wir uns mit allen Sinnen in die Welten und Perspektiven einer anderen Person ein. Wir bleiben miteinander in Verbindung und „halten“ den Raum für das, was da ist. Bin ich bereit dafür mich so zu öffnen, dass ich mich in meinem Herzen echt berühren und bewegen lasse?
Drittes C wie Courage
Mit Courage sind wir mutig und entschlossen unseren Weg zu gehen. Wir öffnen uns dem, was sich durch uns ausdrücken möchte. Wir können mit Mut und Entschlossenheit spüren und vermitteln, wofür wir stehen und wie wir wirklich wirklich leben und wirken möchten. Mit unserem Courage-Muskel können wir uns öffnen für unseren Weg, uns selbst treu und damit in unserer Kraft bleiben. Mit Courage kommen wir in unser volles Potenzial.
In der Übung wurden wir eingeladen einem Erzähler/ einer Erzählerin aus jeweils einer der drei C-Perspektiven zuzuhören, so dass jeder einmal jede Perspektive einnehmen konnte. Für mich war es eine hilfreiche Erfahrung, explizit nur neugierig, nur empathisch oder nur schöpferisch zuzuhören. Durch diese „innere Einstellung“ auf ein „C“ konnte ich die jeweilige Perspektive jeweils noch viel intensiver erleben. Eine tolle Übung, die man eigentlich zu jeder Zeit im Alltag wiederholen kann.
Die vier Ebenen des Zuhörens entlang des U-Prozesses
Mit den „inneren Instrumente“ sind wir gut auf die Arbeit mit dem U-Prozess vorbereitet. Auch hier geht es um innere Öffnungsprozesse. Otto Scharmer spricht von vier Ebenen des Zuhörens, die uns auf den schöpferischen Boden des U führen. In einem Prozess des Innehaltens, Umwendens und Loslassens öffnen wir uns für das Neue, das in die Welt kommen kann. Die oben genannten inneren Instrumente helfen uns diesen Prozess in seiner Qualität zu erleben.
Downloading
Auf dem Level des „Downloading“ verändern wir unsere Standpunkte nicht. Wir lassen uns im Zuhören nur bestehende Erwartungen bestätigen. Somit schreibt sich unsere Vergangenheit auch nur vor. Wir produzieren mehr vom Gleichen. Neue Infos speichern wir in alten Silos ab. Eine passende Gesprächsform ist die Debatte, wir tauschen Wissen und Standpunkte aus, ohne uns zu verändern.
Open Mind: Hinsehen mit neuen Augen (Seeing)
Hier beginnt die eigentliche Reise im U-Prozess. Mit einem „Open Mind“ sind wir bereit neue Fakten anzunehmen und uns ggf. anzupassen. Unser inneres neugieriges Instrument hilft uns dabei. Wir schauen mit frischem Blick auf das, was wir lernen können. Auf dieser Ebene sind wir gut im Redesignen von Prozessen und Strukturen, was ja in den letzten Jahrzehnten zu Genüge praktiziert wurde.
Open Heart: Hinspüren vom Feld aus (Sensing)
Hier helfen vor allem unsere Inneren Curiosity- und Compassion-Instrumente. Wir betrachten die Welt aus den Augen des anderen und helfen dabei mentale Modelle zu erkennen. Diese tiefere Ebene ermöglicht ein Reframing von mentalen Modellen, die dysfunktional geworden sind und uns bisher davon abhielten uns zu verändern (bzw. uns nur mehr vom Gleichen produzieren ließen). Ein zu überwindendes Hindernis für ein „Open Heart“ ist der Zynismus: die Stimmen, die uns nicht an die Möglichkeiten des Neuen glauben lassen. Eine passende Gesprächsform ist der Dialog, ein gemeinsames reflektiertes Erkunden von dem, was sich in unserer Begegnung zeigt.
Open Will: loslassen, mit der Quelle verbinden, anwesend sein (Presencing)
Hier wirken alle inneren Instrumente zusammen. Wir verbinden uns mit dem Ganzen und richten uns auf das Zukunftspotenzial aus. Wir erkennen die Quellen der Intention, den „Ruf der Zukunft“ und stellen uns dem in den Dienst, was entstehen will. Otto Scharmer spricht hier vom „Open Will“. In einer „Hingabe“ lassen wir uns von den entstehenden Möglichkeiten inspirieren und sprechen von ihnen aus. Ein zu überwindendes Hindernis ist hier die Angst loszulassen vom Vertrauten, auch wenn es dysfunktional wirkt. Der „schöpferische Prozess“ oder das „generative Denken und Sprechen“ mag eine passende Ausdrucksform sein. Die Quelle der Inspiration geht weit über das hinaus, was unsere Ratio leisten kann.
Deep Dive Journaling entlang des U-Prozesses
Mit dem Journaling als Methode habe ich bereits viel Erfahrung. Ein neues Erlebnis war für mich jedoch das intensive Nutzen von Journaling im Setting einer Lernreise. Immer wieder gab es Sequenzen der Stille, in denen wir zuerst zu konkreten Fragen reflektieren und schreiben sollten. Danach reflektierten wir meistens in Breakout Rooms zu zweit oder zu dritt über unsere Gedanken. Diese Methode bringt die Aufmerksamkeit immer wieder zu sich selbst, was sehr gut dabei hilft im ganzen Lernprozess mit sich selbst in Kontakt zu sein.
Eine Deep Dive Journaling-Sitzung dauerte sogar mehr als eine Stunde. Hier erkundeten wir jeweils für uns die eigene beste Zukunftsmöglichkeit – jeweils aus den Perspektiven der Neugierde, des Mitgefühls und der Entschlossenheit. Christine stellte uns die Fragen und führte uns durch unseren eigenen U-Prozess.
Den Einstieg machten wir mit einem Ausschnitt aus dem Film „Das Leben des Baggar Vance“. „Suchen Sie mit Ihren Händen, denken Sie nicht darüber nach“, sagt der Coach im Film zu einem Golfspieler mit traumatischen Erfahrungen in seiner Seele. Sie beobachten gemeinsam einen anderen Spieler, wie er sich auf seinen „perfekten Schwung“ vorbereitet. „Es gibt nur einen Schlag,“ führt er fort, „der mit dem Feld perfekt harmoniert. Der Schlag, der seiner ist. Der authentische Schlag. Und dieser Schlag entscheidet sich für ihn. Es gibt für jeden einen Schlag, der sich den Weg zu uns sucht. Wir müssen nur zulassen, dass uns dieser Schlag auch findet. Wir dürfen uns ihm nicht in den Weg stellen.“ Wir waren alle sehr gerührt von diesem kurzen Filmausschnitt mit der kraftvollen Aussage und unserem eigenen U-Prozess im Rahmen des Deep Dive Journaling.
Wir beobachteten an uns durch den ganzen Prozess noch etwas sehr interessantes körperliches. Wir beschrieben uns „sanfter“, „milder“ und/ oder „zarter“. Dieser „milde Blick, nicht kämpfend“, wie es der Coach im o.g. Filmausschnitt beschrieb, macht uns spüren, wie verbunden wir eigentlich sind, wie wir „alle eins“ sind. Ich bin immer noch ganz gerührt von der Erfahrung.
Das macht uns sicher auch demütiger, verletzlicher. Auch das erlebten wir in unserer Gruppe. Mit dem „Fallenlassen unserer Waffen“ öffneten wir uns für neue Möglichkeiten und ließen uns berühren. Das ist eine wunderschöne Erfahrung auf dem Boden des U im U-Prozess. Otto Scharmer und seine Kollegen entwarfen dafür das Kunstwort „Presencing“: „Presence“ und „Sensing“. Nach dieser individuellen oder kollektiven Erfahrung in der Stille sind wir dazu eingeladen die Zukunft so zu manifestieren, wie wir sie bereits in unserem Inneren spüren. Durch das Prototyping kommen wir schnell ins Tun und Experimentieren, um dem Neuen seine materielle Form geben zu können.
Embodiment – Verkörperung
An einem weiteren Tag erkundeten wir die Zukunft im Tun. Christine schickte uns vorab Knete und weitere Utensilien, die wir kreativ verarbeiteten. Das Embodiment ist eine wunderbare Möglichkeit innere Prozesse, offene Fragen oder Herausforderungen zu „verkörpern“. Sonst nur implizit, subtil, kaum fassbar, gestalteten wir wortwörtlich persönliche Herausforderungen in Kontakt mit Gefühlen und Gespür. Auch das war für mich eine tolle Erfahrung. Wir sollten das, was wir „gebaut/ geformt“ haben, buchstäblich aus vier verschiedenen Perspektiven betrachten. Wir schauten gemeinsam mit einem Gruppenpartner aus den vier Himmelsrichtungen auf unsere Situation, wobei drei Himmelsrichtungen mit einem „C“ verknüpft waren und der Norden die Meta-Perspektive symbolisierte, von der aus wir Zugang zum „Ruf der Zukunft“ bekamen.
An dieser Stelle sei noch betont, wie gut die Technik uns hier unterstützt hat. In der räumlich-körperlichen Übung arbeiteten wir parallel mit Computer und Handy-Video-Call, so dass wir gut die „Kunstwerke“ des anderen erkennen konnten und ins Ko-kreieren kamen. Auch das war eine tolle Erfahrung.
Der U-Prozess in der Praxis
Die Übungen ergänzte Christine mit Reflektionen aus ihrer bisherigen Arbeit mit Menschen und in Organisationen. Ich bin total beeindruckt davon, wie wirksam der U-Prozess für Menschen und Organisationen sein kann. Statt linear die Vergangenheit weiter fortzuschreiben und immer mehr vom Gleichen zu produzieren, lassen wir entlang des „U“ die Zukunft auf uns wirken und finden ganz neue Wege für uns persönlich, ganze Organisationen und Gemeinschaften. Außerdem ist der Prozess so archetypisch, dass er für die meisten von uns Facilitators/ Coaches super mit vorher gelernten Ansätzen verbindbar ist. So gibt es viele Schnittstellen mit dem Design Thinking oder mit Therapie- und Coachingansätzen und der Systemischen Beratung.
Auch vor dem Hintergrund meines vorherigen Blogartikels „Kulturschaffung in virtuellen Räumen“ war ich begeistert. Christine versteht es menschliche „Öffnungsprozesse“ im virtuellen Raum entstehen zu lassen. So lebten wir in Echtzeit das, was wir lernten: uns zu öffnen – faktisch, empathisch und schöpferisch – und damit dem Neuen einen Raum zu geben.
Gerade aktuell während der Corona-Krise spielt der U-Prozess eine bedeutende Rolle für den Neustart der Welt. Die GAIA Journey (Global Activation of Intention and Action) ist ein kostenloses weltweites Programm des Presencing Institutes rund um Otto Scharmer, bei dem wir in 14 Wochen durch den U-Prozess gehen. Die Sessions stehen aufgezeichnet zur Verfügung, so dass man auch als Quereinsteiger noch gute Impulse bekommen kann.
Natürlich bekommt die Facilitate U Lernreise von mir auch eine Empfehlung für alle, die den U-Prozess in ihr professionelles Wirken einbinden möchten. Danke Christine für unsere gemeinsame Lernreise und ich freue mich schon aufs nächste Modul.
wunderbar zusammengefasst! Ich freue mich auf die Gruppe und kann nur sagen, im „Wahren Leben“ setzt sich diese Arbeit sofort konstruktiv weiter fort.
Danke Antje, Wir sehen uns am Freitag, freu mich!