Wie durch Bilder und Worte das Neue in die Welt kommen kann – Ein Gespräch mit Mathias Weitbrecht von den Visual Facilitators.

In einem Online-Kurs bei den Visual Facilitators stellte uns Mathias Weitbrecht eine Audio-Datei  für die Einstimmung vor dem Zusammentreffen mit derm Kunden zur Verfügung. Nachdem ich mich schon länger mit der inneren Arbeit an der eigenen Haltung (besonders vor Terminen) beschäftigt habe, schätzte ich diese gehaltvolle Audio-Datei sehr. Ich lud Mathias zu einem Dialoginterview ein. Ich wollte mehr über ihn und seine Geschichte erfahren und vor allem mit ihm gemeinsam erleben, was ihn in die Zukunft zieht. Wie und wofür arbeitet (wirklich) jemand, der sich so bewusst auf Termine vorbereitet?

Woher Mathias kommt

Mathias‘ erster Zugang zum Visual Facilitating war einer der Begründer David Sibbet, der bereits seit 1972 als Visual Consultant Veränderungsprozesse begleitet hat. Als Mathias 2005 die Arbeit mit den „Visual Facilitators“ begründete, gab es nur ein paar Dutzend Leute in Deutschland mit ähnlichen Angeboten. So wurde er einer der Pioniere des Graphic Recording in Europa. Und er begleitete große Unternehmen und Konzerne mit der Visualisierung von Strategieentwicklungsprozessen und Zielen. Mathias‘ Bilder und Wörter schaffen im Prozess eine emotionale Verbindung und holen alle Beteiligten auch partizipativ ab. Dieses Vorgehen ist wichtig, damit alle auch gefühlt an einem Strang ziehen. Und Veränderung gelingt.

Spannend finde ich den Wandel seit März 2020. Was sich vorher schon für die Visual Facilitators abzeichnete, manifestierte sich durch die Corona-Krise mit einem „Turbo“. Sie arbeiten nicht nur hauptsächlich online, sondern wechseln auch ihre Zielgruppe – weg von großen Organisationen und Konzernen. Mathias und sein 35-köpfiges Team begleiten seit dieser Zeit vorrangig den Mittelstand und Selbständige. Ihm ist heute mehr denn je wichtig, bei Aufträgen im kontinuierlichen Austausch mit den eigentlichen Entscheider*innen zu sein – und das gestaltete sich bei den Konzernen oft schwierig. So gestaltet er seinen Beitrag bewusst wirkungsvoller. Mathias blüht sichtbar auf, wenn er mir von seiner Arbeit mit Leuten erzählt, die etwas Neues in die Welt bringen wollen. Und gerade jetzt während der globalen Krise müssen sich viele Menschen und Organisationen (nicht nur im Mittelstand) neu aufstellen. Wie schaffen sie es, sich für die anstehenden Umwälzungen, die durch einen globalen digital-finanziellen Komplex initiiert werden, neu zu erfinden?

Mathias legt gerade jetzt in der Zeit von Social Distancing und HomeOffice viel Wert auf intensivere, fruchtbarere und inspirierendere Beziehungen. In unserem Gespräch kann ich gut nachvollziehen, dass ihm dieses beziehungsnahe Arbeiten und Wirken mit den Entscheidern viel Freude bereitet. Mathias arbeitet nicht mit Leuten, die sich eigentlich (jetzt) nicht bewegen möchten oder sich nur für bestimmte Kennzahlen einsetzen. Durch diese klare Ausrichtung auf echte Wirksamkeit fühlt sich Mathias mit den aktuellen Zeiten gut. Es wird nie wieder so wie vor der Pandemie. Eine neue Welt und Parallelgesellschaften entstehen, und er freut sich, Teil von neuen Initiativen zu sein – und seien sie noch so klein. Das ist seine Art, die Welt mitzugestalten. Diese Arbeit erfüllt ihn für mich sehr spürbar.

Fokus auf das „Wie“

Die „Szene“ rund um Graphic Recording und Visual Facilitation ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen. Der Bedarf ist groß. Die Anbieter*innen kommen teilweise aus ganz anderen Hintergründen, z.B. aus der Kunst oder Illustration. Und diese arbeiten teilweise mit anderen Motiven und einer anderen Haltung. Mathias und die Visual Facilitators GmbH zeichnet in diesem wachsenden Feld die langjährige Erfahrung mit Organisationen und Transformationsprozessen aus. Für ihn ist „Visual Facilitation“ eine stark Prozess-orientierte Arbeit (ganz im Sinne, wie diese Tätigkeit einmal erfunden wurde). Er redet von der Kraft des Bildes. Diese Power möchte er verantwortungsvoll einsetzen. Ein Bild kann während eines Workshops alles im Raum verändern. Auch wenn es 2 Sekunden später im Müll landet oder gelöscht wird, bleibt die Wirkung des Bildes in der Gruppe verankert. Während bei Kunst oder Illustration das Endprodukt für die Kund*innen wichtiger ist, ermöglichen beim „Visual Facilitation“ die Bilder einen transformativen Prozess:

Es muss nicht schön aussehen – es muss funktionieren.

Für Mathias steht daher beim Visualisieren der Prozess im Vordergrund, nicht das Ergebnis. Die Kund*innen greifen die Bilder während des Visualisierungsprozesses auf und denken, benennen und gestalten sie im Entstehungsprozess weiter. Kein Wunder, dass dieses zur-Verfügung-stehen als Visualisierer*in eine besondere Art der Haltung und Vorbereitung erfordert.

Wirkung in einem Wort

„Wie würdest Du denn Deine Wirkung beschreiben?“ fragte ich. Mathias antwortete mit einem Wort:

Klarheit.

Die Zeiten sind heute wie noch nie zuvor volatil und unsicher. Kund*innen können oft noch nicht mal mehr die Probleme benennen und formulieren, für die sie Lösungen suchen. Oft fühlt sich die aktuelle Situation einfach nur ungut an. Viele stapfen im Dunkeln und suchen neue Wege – ohne Klarheit. Mathias und sein Team stellen im Prozess Wörter und Bilder zur Verfügung. Das Benennen und Visualisieren bringt das Gegenüber mit der Vision und den Zielen in Verbindung. Dabei setzt Mathias explizit sein Talent dafür ein, große Zusammenhänge zu erfassen und auch kleine und leise Stimmen zu integrieren – und diese zu veranschaulichen. Die Vision bekommt – manchmal wortwörtlich – Hand und Fuß. Sie wird sicht- und greifbar. Die Ziele werden klarer. Die Kund*innen erkennen und benennen ihre gemeinsame Ausrichtung und nächsten Schritte. 

Mathias spricht aus seiner Erfahrung. Er sagt: Nur Menschen mit einer klaren Vision und entsprechenden Zielen können gut durch diese Zeiten navigieren. Sie wissen „Dafür stehe ich, dafür setze ich mich heute ein und der Status Quo macht Sinn.“

Du bist das wichtigste Werkzeug

Mathias beschrieb mir, wie diese Art der Arbeit aus seiner Sicht eine weite Öffnung für die Anliegen der Kund*innen erfordert. Er macht sich innerlich „leer“ bzw. „neutral“ und legt seine eigenen Themen beiseite. Er öffnet sich für unterschiedliche Perspektiven und macht sich bereit mit den unterschiedlichen Sichtweisen und auch Widersprüchen zu arbeiten. Gleichzeitig bleibt er „engagiert“. Er stellt sich bewusst dem Neuen, was entstehen will, zur Verfügung. So fühlt sich dieser Modus für ihn sehr aktiv an. Aus diesem Zustand lässt er sich vom Potenzial im Raum Formen, Farben und Wörter geben. Dabei ist er im Grunde eher ein „Kanal“ und nicht „Quelle“ der Ideen. Und er stellt sich weniger dem Bild, als dem Prozess zur Verfügung. Er ist mehr von der Zukunft und deren Potenzial motiviert, und weniger von der Vergangenheit und überalteten Mustern:

Ich kann nicht alles wissen und muss das auch gar nicht, doch ich weiß, dass es immer einen größeren Zusammenhang gibt.

Vertrauen in sich und dem Zugang zum Potenzial ist hier wesentlich. Auch das möchte kultiviert werden.

Ich vertraue mir, dass mir die richtigen Bilder kommen.

Mathias’ Arbeit baut auf der Kunst des Zuhörens und dem Befähigen der Beteiligten auf. Aus seiner Erfahrung sagt er sehr überzeugend:

Auch wenn es im Prozess mal zäh oder dunkel wird, am Ende gibt es immer ein Licht und eine (neue) Lösung. Darauf richte ich mich aus.

Ein Alltag in Zeitblöcken

Für mich war es spannend, wie Mathias diese innere Arbeit in seinen Arbeitsalltag integriert. Das erfordert Raum und Zeit. Mathias erzählte mir, dass er den Morgen vor allem für die persönliche Entwicklung, Meditation, Atem, Yoga und Weiterbildung nutzt. Idealerweise setzt er sich alle Meetings, Gespräche und Workshops auf den Nachmittag. Auf diese Weise bekommt er die Gratwanderung zwischen innerer Arbeit und Wirkung nach außen ziemlich gut hin.

Reflexion des Gesprächs

Mathias inspiriert und ermutigt mich für meinen eigenen Weg – vor allem das „Wie“, aber auch natürlich das „Was“. Die Begleitung von Kund*innen in Strategieentwicklungsprozessen erfordert weit mehr als ein analytisches Denken. Mathias verwendet das Wort „empathische Offenheit“. Die Fähigkeit, Menschen bei ihrer Arbeit „am“ Unternehmen wirklich zu ergreifen und äußerlich wie innerlich zu bewegen geht über die reine Kopfarbeit hinaus. Gute Kommunikation am Rande der Komfortzone ist hier der Schlüssel. Wörter mit Bildern anzureichern ist da wahrscheinlich die Königsdisziplin. 

Danke Mathias fürs inspirierende Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Mehr Infos zum Vertiefen

Website der Visual Facilitators 

Website von Mathias

Mathias auf Instagram

Meine Visualisierung des Gesprächs