Krise, Krankheit, Krebs,... und Kreativität https://tanjamisiak.de Thu, 07 Mar 2024 10:07:16 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.1.7 https://tanjamisiak.de/wp-content/uploads/2018/11/tanja-misiak-coaching-muenchen-coach-1-75x75.png Krise, Krankheit, Krebs,... und Kreativität https://tanjamisiak.de 32 32 Krise, Krankheit, Krebs,… und Kreativität! Welche Geschichten ich mir jetzt erzähle. https://tanjamisiak.de/krise-krankheit-krebs-kreativitaet Tue, 19 Dec 2023 16:31:46 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1522

Müdigkeit über mehrere Wochen, Leistungsabfall beim Joggen, die Stimmung zunehmend niedergedrückt. Heuschnupfen ist der Verdacht. Dann die Schilddrüse. Und dann im Juli eine Diagnose, die meinem Partner und mir erst mal den Boden unter den Füßen wegzieht. Gallengangskrebs, eine seltene und aggressive Form von Tumor in der Leber, Metastasen in Leber, Bauchfell und in der Lunge.
Ich bin eigentlich körperlich fit und sportlich und sehr bewusst mit meiner Ernährung. Das hatte sich bisher immer ausgezahlt, denn mein Immunsystem hat mich durch sämtliche Corona-, Grippe- und Erkältungswellen stets super getragen. Plötzlich ist alles anders.

Ich habe vorbildlich meine Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt, weil Krebs in meiner Ursprungsfamilie leider ein bekanntes Thema ist. Hätte ich Symptome wie gelbe Augen oder einen farblosen Stuhlgang gehabt, wäre ich alarmiert gewesen. Aber sowas gab es nicht. Niemand inkl. mir war besonders verwundert, dass ich als berufstätige dreifache Mutter mal eine müde Phase habe.

Mir war bewusst, dass nun ganz viel abhängig ist von meiner inneren Einstellung und dem, was ich mir selbst erzähle. Meine Ausrichtung war von Anfang an klar. Die Diagnose annehmen und mein Credo umsetzen: kreativ statt reaktiv.

Ich bin nun seit 5 Monaten mit Chemo- und Immuntherapie unterwegs und mir geht es gut. Die Therapien schlagen nachweislich maximal an.

So ziehe ich zum Jahresausklang ein Zwischenfazit.

Bedeutung meiner eigenen Geschichten

Wenn ich Veränderungsprozesse in Organisationen begleite, dann nutze ich gerne Geschichten als Sinn stiftende Erzählungen. Sie haben Einfluss auf die Art, wie die Beteiligten ihre Umwelt und Veränderung wahrnehmen. Geschichten geben die Möglichkeit der Orientierung und vermitteln Zuversicht.

Über die faktenbasierte Diagnose hinaus gibt es Unmengen an Geschichten, die ich mir jetzt selbst erzählen könnte. Sie können mich schwächen und kaputt machen oder mir Mut machen oder Angst oder Hoffnung. Frisst der Krebs mich auf, ist er ein Alptraum, habe ich ihn selbst kreiert oder jemand anderes, kommt der Krebs aus dem Bösen, ist er Bestrafung, bin ich selbst schuld? Oder schreibe ich mit dem Krebs eine Geschichte über die Schönheit des Lebens und mache aus dem Heilungsprozess einen inspirierenden Weg?

Manche (die meisten?) Geschichten sind unbewusst und fügen sich zusammen aus vorherigen Erfahrungen mit Krebs. Da einige meiner Tanten und mein Vater an Krebs gestorben sind, war eine meiner unbewussten Hauptgeschichten, dass Krebs tödlich ist und die Chemo unerträglich. Außerdem bin ich leider auch unbewusst davon ausgegangen, dass Krebs zu unserer Familie gehört. (Durchgeführte Gen-Untersuchungen können das bisher nicht bestätigen und wenn, dann gibt es die Epigenetik…).

Ich begann mir meine Geschichten über Krebs bewusst zu machen und an ihnen zu arbeiten.
So sammelte ich Erzählungen von Bekannten und Bekannten von Bekannten, die Krebs geheilt haben. Eine Freundin machte mich auf eine Wissenschaftlerin aufmerksam, die über 1500 Fälle erfolgreicher Remissionen erforschte (siehe Radical Remission, Kelly A. Turner, PhD). Ich stärke mich mit diesen Erkenntnissen. Ich bin mittlerweile davon überzeugt, dass ich trotz aller familiärer Vorgeschichten meinen ganz eigenen Weg gehen kann und darf.

Die Arbeit mit meinen inneren Geschichten ist für mich essenziell geworden. Sie geben mir nicht nur Orientierung und Zuversicht, sondern einen dankbaren inneren Zustand – was wiederum Einfluss auf mein Immunsystem hat.

Die Arbeit mit meinem inneren Zustand

Zugegeben: wenn ich in der Chemorunde geschwächt bin, ist die Kultivierung positiver Gedanken und Gefühle schwieriger als an kraftvollen Chemopause-Tagen (vor allem auf dem Berg!). Trotzdem kann ich auch an schwachen Tagen dankbar sein. Dafür, dass die Chemo gerade für mich arbeitet. Für die guten Wünsche aus dem Familien- und Freundeskreis. Für die ungefragte warme Gemüsesuppe einer lieben Nachbarin oder die regelmäßigen Postkarten einer Freundin aus Hamburg. Für den Spaziergang, der trotzdem möglich ist. Es gibt zu jedem Zeitpunkt schöne Geschichten und Dinge, die nicht gut laufen. Da ich wie jeder Mensch eh nur höchstens 5% dessen wahrnehme, was in mir und um mich herum passiert, sollte ich mir diese 5% bewusst zurecht legen.

Ich lasse mich von Audios und Büchern immer wieder an meine Praxis erinnern, vor allem von Dr. Joe Dispenza. Er betont die Wichtigkeit der Verbindung von Gedanken und Gefühlen im Heute, Hier und Jetzt. Wenn ich an Heilung denke und gleichzeitig ein Gefühl der Angst und Stress in mir vorherrscht, dann kommt die Geschichte meiner Heilung wortwörtlich nicht in meinen Zellen an.

Vor allem die neuen Forschungen rund um die Psychoneuroimmunologie finde ich sehr spannend und ich sauge da alles auf, was ich bekomme.

Raum für Geschichten nehmen

Ich habe wunderbare und engagierte Ärzt*innen an der Uni-Klinik Rechts der Isar in München. Sie sind Profis auf ihrem Gebiet. Sie nehmen wöchentlich Blutwerte, machen alle 3 Monate eine Bildgebung, passen bei Bedarf die Medikamente an. Ihr Aufgabe ist aber nicht das Kümmern um meinen inneren Zustand. Sie erfassen, wie es den Patient*innen psychisch geht, verweisen aber bei Bedarf auf die Kolleg*innen in der Psychotherapie und Psychoonkologie.

Ich habe schon viele Versionen in den Therapieräumen erlebt… Die Patientin neben mir erzählte dem Arzt: „Die Freundin, die ich gerade zu Grabe getragen habe, hat ihre Chemo gar nicht vertragen…“ Was soll ein Arzt mit dieser Aussage machen? „Bei Ihnen kann das auch anders laufen,…“ eine bessere Antwort hätte ich auch nicht gehabt. Natürlich läuft es anders! Jede*r trägt selbst Verantwortung für die eigenen Geschichten. Ich versuche mir meine Worte und Formulierungen bewusst zu machen, weil ihre Wirkung so groß sind.

Außerhalb der Klinik gibt es dann einen „Markt“ an Menschen, die mit Geschichten arbeiten. Vor allem in der spirituellen Szene. Ich habe mittlerweile einige weise Menschen gefunden, die mich seelisch und spirituell begleiten und verantwortungsvoll mit Geschichten umgehen. Sie sind vor allem undogmatisch, hängen nicht an der Absolutheit der Geschichte und sind bereit alte Geschichten zu erneuern. Geschichten und ihre Bilder dürfen mir im Heute, Hier und Jetzt helfen, mit körperlichen, geistigen und seelischen Blockaden im weitesten Sinne zu arbeiten. Dazu gehört auch immer wieder die Aktualisierung alter Geschichten. Ich erfinde mich so Stück für Stück neu.

Neben Dr. Joe Dispenza möchte ich hier Prof. Dr. Tania Singer (siehe Blogartikel) erwähnen. Sie macht als Neurowissenschaftlerin zunehmend messbar und plausibel, wie die äußerlich sichtbaren Dimensionen (Körper) und die inneren Dimensionen von Geist und Seele zusammenhängen.

Freund*innen erinnern mich

Ich vergesse übrigens die Weisheiten, die ich hier beschreibe, selbst immer mal wieder. Besonders unter Medikamenteneinfluss. Ich habe Freund*innen darum gebeten, mich zu erinnern. Sie geben mir gerade sehr viel Kraft. Das macht mich unglaublich dankbar. Manche Bekannte sind allerdings verunsichert, wie sie mir begegnen. Sie gehen bspw. davon aus, dass ich gerade die schlimmste Zeit erlebe. So ist es sowohl für Betroffene als auch für Freundes- und Familienkreis wichtig sich die eigenen Krebs-Geschichten bewusst zu machen.

Mit einem Schmunzeln erinnere ich mich an einen Spaziergang mit meiner Freundin Anke, die – gut in Kontakt mit mir – geradezu übersprudelt mit dem, was in ihrem Leben alles gut läuft. Ich kann mich total mitfreuen und freue mich darüber, dass ich mich freue und Anke freut sich auch. Wie schön unkompliziert und frei von unhinterfragten Annahmen.

Der Glaube an Wunder: Geschichte statt Statistik

Würde ich glauben, dass ich der Teil einer großen Statistik wäre und hätte ich keine kraftspendenden Geschichten für Seele und Geist, dann könnte ich einpacken und gehen. Die Prognose für meinen Krebs ist in den Statistiken schlecht. Doch jeder Mensch schreibt seine eigene Geschichte. Ich war in meinem Leben schon oft an den äußeren Rändern der Statistiken. Ich lasse mich von Zahlen daher nicht beeindrucken. Unwahrscheinlichkeiten passieren. Alles ist möglich, auch unmögliche Geschichten. Meine Kreativität macht mich lebendig und kraftvoll. Ich freue mich, dass ich Geschichten schreiben, erzählen und realisieren kann.

Wie auch immer meine Geschichte weiter geht, ich schreibe sie selbst und navigiere mich so durch meinen Prozess: kreativ statt reaktiv.

Und ich freue mich sehr, wenn ich damit sogar inspirieren kann.

Credits: Vielen Dank, Karin Gatterer, für ein schönes kleines Chemo-Photo-Shooting im Dezember 2023.

Da nicht alle LinkedIn haben, hier chronologisch die Posts zu meiner Krebsdiagnose.

August 2023

„Es gibt Leute, die es schaffen,“ sagt mein Arzt – und ich freue mich über meine spontane sehr entschlossene Reaktion: „Dann gehöre ich dazu!“ 🤷‍♀️

Am 21.7. bekam ich eine krasse Diagnose. Und es war kein falscher Film. Es war tatsächlich MEIN Film. 😲 Own it. 🫵 Gallengangskrebs, Metastasen in Leber, Bauchfell und Lunge. 🤕 Korrekt heißt es biliäres intrahepatisches Cholangiokarzinom. Extrem selten.

Das hier ist meine dritte Chemo im Rahmen einer infusionalen Systemtherapie mit Immuntherapie in der Münchner Uni-Klinik rechts der Isar MRI-TUM, bin da immer ambulant.

Ich hatte übrigens keine Symptome. Nur einen Leistungsabfall beim Joggen/ Sport. Der EKG 🚲 Belastungstest war sogar überdurchschnittlich gut. Kleines Blutbild völlig in Ordnung. 🩸 Großes Blutbild vor 1,5 Jahren inkl. Bauchultraschall auch. Nächster Check-up wäre erst in 1,5 Jahren gewesen. ⏰ Doch ich war nicht zufrieden. Irgendwas stimmte nicht. Warum der Leistungsabfall. Und generell zunehmend Unstimmigkeit in meinem Leben. Inkohärenz innen und außen. Einige Wochen/ Monate tappte ich im Dunkeln.

Viele beschreiben ihre Diagnose als einen Schock. Doch ich empfand es anders. 💡 Seit dem Tag der Diagnose bekomme ich wieder Kraft. Ich kann meinen Weg jetzt benennen und werde weiterhin ein Einzelfall in den Statistiken bleiben. Ehrlich gesagt rüttelt es manchmal ordentlich an diesem Selbstbewusstsein 😬, aber dank 20-jähriger Vorarbeit mit generativen Methoden, Meditation, tiefe Erfahrungen mit echten Veränderungen, bester Schulmedizin in Kombination mit Komplementärmedizin bis hin zu spiritueller Heilung fühle ich mich jetzt mal gut vorbereitet für diesen herausfordernden Weg. Ich bin rundum in guten Händen und habe viel Unterstützung von allen Seiten. 🥰

Ich werde die kommenden Wochen/ Monate ausschließlich das machen, was für mich regenerativ ist. Wird spannend, wie dieser Weg dann konkret aussieht. Auch hier hilft mir: Curiosity, Compassion, Courage!

👉 Lasst Euch regelmäßig durchchecken. Nichts kann wichtiger sein.
👉 Genießt das Leben, jede Sekunde!
👉 Folgt Eurer Intuition. Wenn was nicht stimmt, folgt der Spur.
👉 Glaubt an Wunder. Alles ist möglich. Verschiedene Zukunftsversionen stehen bereit sich zu realisieren.
👉 Drückt mir gerne die Daumen. ♥☀🙏

September 2023

„Mama ist hier die Mutigste, weil sie Krebs hat und das so gut hinkriegt!“ ruft mein 9-jähriger Sohn aus, als sie für ein Spiel die mutigste Person finden sollen. Ich freue mich über den Stolz, den ich in seiner Stimme hören kann. 🤩

Seit meiner Diagnose „metastasierter Gallengangskrebs“ sind nun gut 2 Monate vergangen. ⏰ Ich bin superdankbar, dass sich die Nebenwirkungen von Chemo und Immuntherapie bisher auf Müdigkeit beschränken. 💤 Ich führe eine Art Doppelleben und bin manchmal Krebspatientin, meistens aber einfach die normal-verrückte Tanja. „Bleibt‘s gesund,“ sagt der Hotelier am Achensee, wo ich mit meinem Mann ein Wochenende verbrachte. „Gute Idee,“ antworte ich und finde es toll, dass er nicht „Gute Besserung“ zum Abschied sagt. Fremde sehen mir nichts an. 🤷‍♀️

Eine innere Kraft trägt mich weiter durch diese Zeit. 🫵 Ich spüre sie stärker und intensiver als im Leben vor der Diagnose, als ich im Dunkeln tappte und sich alles so unstimmig anfühlte. Ich genieße diese Kraft, den Lebenswillen, die Dankbarkeit für jeden Tag.

Und das ist kein Zufall, sondern eine Entscheidung. 🫰 Das Internet ist voll von guten Meditationen, Büchern, Videos, wie ich meinen inneren Zustand so kultiviere, dass ich in meiner Kraft und Lebendigkeit bleibe. Das ist für mich gerade essenziell. 🙏

Ich freue mich total, wenn ich mit meinen Gedanken in meinem aktuellen „Ausnahmeleben“ Menschen inspirieren kann. Es braucht ja keinen Krebs, um gute Vorsätze zu realisieren. Auch wenn, zugegebenermaßen, der Krebs es einfacher macht das durchzuziehen. Mit dem Rücken zur Wand gehe ich keine faulen Kompromisse mehr ein. Nicht den kleinsten. 👈 Anlässlich meiner gerade durchlaufenden siebten Chemo möchte ich gerne mal wieder ein paar Impulse teilen.

👉 Noch keinen Vorsorgetermin gemacht? Dann erinnere ich Dich heute gerne nochmals daran.
👉 Achte auf Deinen inneren Zustand. Gefühle wie Missgunst, Angst, Wut, Gier, etc. begünstigen die Ausschüttung entsprechender Stresshormone. Erstarrung, Flucht oder Angriff helfen jedoch meistens nicht im Alltag weiter. Das würde mich in meiner aktuellen Situation auch null weiterbringen! Mit Dankbarkeit und Liebe begegnest Du Deinem Leben und Mitmenschen ganz anders. Und der Clue ist: Du kannst Dich darum kümmern. Ich merke, wie mir das gerade richtig Power gibt. Ich wünsche mir, dass die Kultivierung innerer Zustände selbstverständlicher in unserer Gesellschaft wird. Das würde die Welt echt verändern.
👉 Denke nicht per se, dass man mit Krebs eine „schlimme Zeit“ durchmacht. Ja klar, die Möglichkeit des Sterbens erscheint im Radarbild und der Alltag wird erst mal auf den Kopf gestellt. Aber ist beides „schlimm“? Weiterhin ist alles möglich, vielleicht gerade jetzt.
👉 Wenn Du was für mich tun willst, dann denk an meine Heilung. Das hilft mir beim Realisieren dessen, was ich mir wünsche. Lass Dir auch gerne helfen bei dem, was Du Dir wünschst. Am Ende sind wir eins. Je mehr wir uns helfen, desto schöner wird unsere Welt.

Oktober 2023

Wie begegnet Ihr Menschen mit schwerwiegenden Erkrankungen? 🤷‍♀️

Diese Woche habe ich meine 12. Chemo gehabt. Mit dem Rücken zur Wand (Diagnose ist metastasierter Gallengangskrebs) schreibe ich gerade aus einer besonderen Sensibilität heraus und formuliere, was mir hilft und was nicht. 💡

Ich befürchte und erfahre teilweise, dass Leute „sprachlos“ werden und zu viel darüber nachdenken, wie sie jemandem (z.B. mir) begegnen, die gerade mitten im Prozess mit einer potenziell tödlichen Krankheit stehen 🧐.

Was mir hilft ist bspw heute so ein wunderbarer Call mit meiner Listening-Buddy Anke von Platen 😘. Sie teilt mit mir im Check-In, wie gut alles so in ihrem Leben läuft. In sehr guter Verbindung mit mir sprudelt sie fröhlich und leicht über ihre Anmeldung zum 70 km- Lauf, ihr Training, einer Vielzahl von Neuaufträgen und einer Buchidee. Ich schwinge mit in ihrer Frequenz, die mit Liebe und Dankbarkeit durchtränkt ist. Ich bin dankbar dafür, dass sie sich mit ihrem Glück nicht zurück hält, sondern es in voller Breitseite mit mir teilt. Hemmungslos. Danke Anke! Das erfreut mich und trägt mich durch den ganzen Tag, das brauche ich und der Welt geht es mit dieser reflektierten und wohlwollenden Lebensfreude vielleicht auch besser – das darf sein! Und im beruflichen Kontext ist das offensichtlich auch mehr gebraucht als Jammern und Resignieren.

Wir brauchen uns alle in unserer Kraft. Jetzt und heute mehr denn je! 💪

Auch in dieser zerrütteten Welt mit den krassen Konflikten gilt das „Sowohl-als auch“. Natürlich habe ich Angst 🫨 und auch mal echt kein Bock mehr auf die nächste Chemokeule 🧪, UND ich freue mich im gleichen Moment über gute Freundschaften 🫶 und einen Friseurtermin ohne Glatze oder Zeit mit meinen 3 Kindern oder oder. Vieles ist da, worüber ich mich freuen kann. Das Foto hier entstand letzte Woche beim wandern in Tirol. Danke!

Es gibt so viele Wege den größten Krisen mit positiver Kraft und einem inspirierenden Strahlen zu begegnen. 👍

Die Zeit und die vielen schlechten Berichterstattungen laden dazu ein zu jammern, auch schon ohne Krebs. Das ist aber eben für niemanden hilfreich. Sowohl Krise als auch Glück können und dürfen parallel sein und wirken. 🍀
Achso: mein letztes CT vor 4 Wochen zeigt ein maximales Anschlagen der aktuellen Therapie. Eigentlich klar, oder? Diese Nachricht darf ich hier natürlich nicht vorenthalten. 🤗🤗🤗

Januar 2024

Ein halbes Jahr Chemo, Immun- und Komplementärtherapie liegen hinter mir. Staunend schaue ich mein CT-Bild an. Noch vor 3 Monaten war mein linker Leberlappen schwarz-weiß verschrumpelt. Jetzt sehe ich ein glattes einfarbig-dunkelgraues Organ, es sieht wunderschön aus! Der Onkologe strollt durch die Bilder. Er sucht die die vor 3 Monaten noch klar sichtbaren Lungen-Metastasen. Ich kann mir ein gewinnendes Lächeln nicht verkneifen. Dankbarkeit pur. Ja, da sind noch Metastasen in der Leber, aber alles ist eindeutigst auf dem richtigen Weg. Ich wandere 850 hm mit Schneeschuhen auf den Gipfel und zeige, dass auch meine Körperkraft wieder auf dem Vormarsch ist. YES! 🤟

Jetzt weitere drei Monate Chemo. Meine innere Ausrichtung ändert sich. Chemotermine und die Tage danach, Komplementärmedizin, Zusatzinfusionen, schamanische Arbeit, Meditation, täglicher Sport… Mit Haushalt und einer fünfköpfigen Familie bin ich damit gut beschäftigt. Doch Heilung bedeutet nicht, mich um mich selbst zu drehen. Doch „normale“ OE-Projekte könnte ich aktuell nicht begleiten, diese Intensität schaffe ich noch nicht! 😷

Ich freue mich wie immer weiter übers Daumen drücken 👍 und gute Wünsche 🍀, aber auch über Eure Gedanken, Ideen und Impulse zu meinem Wirken in 2024 in einem für mich machbaren Pensum 💡. Ich möchte 2024 zum Jahr meiner Heilung machen, aber dabei nicht nur um mich herum drehen. Ich will auch „draußen“ wirken und erfahre aktuell, dass ich durch meine Heilung auch heilende Umgebungen schaffen kann!

👉 Mit meiner Geschichte erinnere ich viele Menschen in ihren ungesunden Hamsterrädern daran, worum es wirklich wirklich geht: Gesundheit, (Selbst-)Fürsorge und Vorsorge, Liebe und Dankbarkeit fürs Leben.
👉 Positive Selbstführung ist für jeden relevant. Krisen und Kris-chen gibt es immer.
👉 Ja, ich bin mal schwach. Der Weg ist dadurch und nicht daran vorbei.
👉 Wenn Chat GPT und Co zunehmend das „Künstliche“ an unserer gesellschaftlichen Weiterentwicklung übernehmen, Wissen zu Commodity wird, dann geht es für uns doch immer mehr um das Menschliche im Menschen: Dass wir eine unterstützende, einfühlsame und motivierende Rolle einnehmen. Dass wir heilende Umgebungen schaffen, die Kraft und Mut geben, Kolleg*innen ihr volles Potenzial entfalten lassen und innere und äußere Konflikte heilen dürfen.
👉 KI ist vergangenheitsorientiert. Evidenzbasierte Medizin profitiert von KI und somit tue ich das auch. Das ist notwendig, aber nicht hinreichend. Darüber hinaus ist energetische Heilung mein Weg. Sie ist von der Zukunft inspiriert. Ich arbeite mit der unwahrscheinlichen Möglichkeit zu heilen. Das können nur Menschen.

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Sozial-ökologischen Wandel unternehmen – Wie die GLS Bank Wirtschaft anders denkt und umsetzt. https://tanjamisiak.de/sozial-oekologischen-wandel-unternehmen Fri, 13 Jan 2023 12:19:53 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1456

Am 14.11.22 erhält Thomas Jorberg den Preis „European Banker of the Year“. Der Laudator Günther Bräuning, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der KFW, beschreibt die GLS Bank mit den Worten aus Herbert Grönemeyers Song:

Da wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld.

Den Preis erhält der langjährige Vorstandssprecher einige Wochen vor seinem Abschied aus der Bank. Mit „Beständigkeit, Pioniergeist und einem stringenten Festhalten am Geschäftsmodell“ (so Tim Bartz von Der Spiegel) hat er das Unternehmen in den letzten Jahrzehnten konsequent und unbeirrt in ein starkes Wachstum mit einer Bilanzsumme von aktuell rund 10 Mrd. Euro geführt. Rund 900 Angestellte und über 300.000 Kund*innen realisieren gemeinsam Zukunftsbilder einer sozial-ökologischen Gesellschaftsgestaltung.

Mit der Auszeichnung zum „European Banker of the Year“ setzt die Jury im krisengeschüttelten Jahr 2022 ein klares Signal in die Richtung der Finanzbranche und Wirtschaftswelt. Denn trotz des ganzen Wissens, der Technologie und dem vielen Geld in den Märkten handelt der Großteil der Wirtschaftswelt noch nicht so, dass er die Lebensgrundlagen für Mensch und Natur kurz- bis langfristig schützt und entwickelt. Im Gegenteil. Das Finanzsystem ist zum heutigen Stand ein von der Realwirtschaft entkoppeltes Konstrukt, in dem Geldschöpfung auch auf Kosten von Mensch und Natur gehen kann.

Die meisten Führungskräfte haben mittlerweile ein Bewusstsein für diese Schieflage. Zu anderem Handeln reicht diese Einsicht jedoch noch nicht (vgl. Otto Scharmer). Erfahrungswelt und Handeln klaffen auseinander. 

Ich habe im Jahr 2022 mit meinem Kollegen Julian Wildgruber den Abschiedsprozess von Thomas Jorberg und den Erneuerungsprozess der Bank mit unserer kulturkreativen Arbeit begleitet (mehr dazu hier). Dabei war ich sehr inspiriert von der Art, wie anders Wirtschaft und Banking hier gedacht und gelebt werden. Ich glaube und hoffe, dass sich viele Akteure in der Wirtschaft für ihren Schritt raus aus der Schieflage einiges bei der GLS Bank abschauen.

Ökonomie als ein Instrument und nicht als Selbstzweck sehen

Die Gründer*innen der GLS Bank engagierten sich in den 1950ern/ 1960ern mit dem Aufbau freier Waldorfschulen, weiterer sozialer Einrichtungen und von Demeter-Höfen. Irgendwann waren sie an den Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten angekommen. Um Geld im größeren Stil als soziales Gestaltungsmittel nutzen zu können, gründeten sie 1974 die GLS Bank – Gemeinschaftsbank fürs Leihen und Schenken. Geld ist für die Menschen da. Nicht andersherum.

Ökonomie ist kein Selbstzweck, sondern ein Instrument, um eine lebenswerte Zukunft zu gestalten.

Eine kleine Erinnerung: Unsere Wirtschaftssysteme sind menschengemacht und damit künstlich und veränderbar. Die GLS Bank nutzt Geld, Bank, Wirtschaft und Profite konsequent und schon immer als Instrumente, um eine sozial-ökologisch nachhaltige Gesellschaft zu gestalten. Dieser Dreh macht den wesentlichen Unterschied zu Organisationen, die Geld und Profite als Selbstzweck verstehen.

Mit Zukunftsbildern arbeiten

Vorstellungskraft ist im Gründungsimpuls tief verankert. Das Zitat des Gründers der GLS Bank, Wilhelm-Ernst Barkhoff, ist in der Bank allgegenwärtig:

Die Angst vor einer Zukunft, die wir fürchten, können wir nur überwinden durch Bilder von einer Zukunft, die wir wollen.

Im Bereich Wohnen, Bildung, Energie, Mobilität, Ernährung und Nachhaltiges Wirtschaften entwickeln die Menschen in der GLS Gemeinschaft immer wieder Bilder, die ihnen als Leitstern für Initiativen, Projekte und auch alltägliche Herausforderungen dienen. Gut formuliert werden Zukunftsbilder zur Inspiration und dienen als Kraftquelle. Ein Zukunftsbild zum Krieg ist nach Thomas Jorberg beispielsweise nicht Nicht-Krieg, sondern Frieden und gemeinsame Kultur, ein freies Geistesleben in all seiner Vielfalt. Ein Zukunftsbild zum Klimawandel ist nicht ein Nicht-Zerstören der Natur, sondern ein Leben im Einklang mit ihr, in der Menschen die Natur pflegen und entwickeln.

Soziale Innovationen unternehmerisch angehen

Das Auseinanderklaffen von Erfahrungswelt und kollektivem Handeln zeigt, wie notwendig neue Formate von sozialen Designs, Partizipation und Kokreation sind. Auch vorrangig technologische Projekte scheitern oder gelingen mit ihren sozialen Prozessen. So müssen beispielsweise die Planung und der Bau eines Windparks einem sozialen Design folgen, um Projektentwickler, Grundstückseigentümer, Gemeinde, Bürger, Vogelschützer, etc. konstruktiv gestalten zu lassen. Ein schönes Beispiel ist die Geschichte der Elektrizitätswerke Schönau. Entschlossene Initiatoren, bürgernahe Veranstaltungen, Bürgerentscheide und genossenschaftliche Organisationsstrukturen ermöglichten die Übernahme des Stromnetzes und den massiven Ausbau regenerativer Energie mitten im Schwarzwald. Grundsätzlich ist die partizipative Einbindung von Politik und Zivilgesellschaft für die GLS Gemeinschaft in zahllosen Projekten das Erfolgskriterium.

Die soziale Frage kommt mit einer Wucht auf uns zu. (Aysel Osmanoglu)

Doch es wird immer heißer, je näher wir den echten sozialen Fragen kommen, z.B. dem Auseinanderfallen von Arm und Reich. Mitarbeitende der GLS Bank gehen in die sozialen Ränder, um gemeinsam Lösungen zu finden. Mit Initiativen wie dem „Netzwerk der Wärme“ experimentieren die Bank und ihre privaten, politischen und zivilgesellschaftlichen Partner mit zukunftsfähigen Formaten. Tatsächlich ist es ein „experimentieren“: Soziale und sozial-ökologische Innovationen sind vernetzt und interdisziplinär. Kollektives Handeln bis hin zu den Rändern der Gesellschaft braucht eine rechtliche und finanzielle Abbildung dieser Vernetzung. Vorhandene multilaterale Netzwerke sind allerdings meist rechtlich und finanziell noch bilateral organisiert. Die GLS Bank ist täglich mit neuen Formaten und sozialen Designs herausgefordert und dabei immer wieder an den eigenen organisatorischen Grenzen. Oft muss es auch über diese Grenzen gehen. Die GLS Treuhand ist zum Beispiel eine ganz wesentliche Ergänzung an der Seite der Bank und treibt mit „Schenkgeld“ den sozialen Wandel voran.

Die Zahlen beherrschen – nicht andersherum

Beherrsche Deine Zahlen, bevor sie Dich beherrschen.

Diese Aussage habe ich in der GLS Bank immer wieder gehört. Aus meiner früheren Erfahrung in größeren Konzernen und anderen Unternehmen weiß ich, wie schnell sich das Blatt drehen kann. Zahlen können das Handeln der Menschen bestimmen und vorgeben. Doch die Ausrichtung auf kurzfristige Profite oder auf bestimmte Wachstumgsparameter bzw. auf vergangenheitsbezogene Fortschreibungen führt zu verengten Blickwinkeln. Methoden schließen dabei von vornherein Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten aus, die wesentlich für die Lösung aktueller Probleme und wirklich neue Ansätze wären.

Messbare Ziele haben auch in der GLS Bank einen großen Stellenwert. Doch sie gehen weiter. Experten in der Bank sind seit Jahren dabei, zunehmend das in Zahlen auszudrücken, was bisher nicht berücksichtigt wurde. So kann sich die Wirkungstransparenz immer mehr dem annähern, was der Wirklichkeit entspricht. Ein Beispiel ist die Berücksichtigung der Pflege, des Erhalts und des Aufbaus von Bodenfruchtbarkeit als Vermögenswert in der Landwirtschaft. Diese spielt bei den Jahresabschlüssen für konventionelle Banken keine Rolle, was weder ökologisch noch langfristig finanziell Sinn macht. Mit dem Ausbau von Wirkungstransparenz und der Bilanzierung von echten Kosten und Risiken für Gesellschaft und Zukunft, z.B. durch die Abtragung von Boden, Überschwemmungen und Dürren, macht die GLS Bank Pionierarbeit.

Respektvoll geht die Bank jedoch auch mit dem um, was wahrscheinlich niemals in Zahlen übersetzt werden kann. Geteilte und gelebte Werte, Beziehungen, Vernetzung, Verbindung, Ideen, Kreativität, Menschlichkeit, Fürsorge, Vorstellungskraft, Herzlichkeit und das Wesen der Bank wirken, ohne gemessen zu werden. Wenn die Zahlen uns beherrschen, wird diese Welt der inneren Dimension vergessen. Dabei geht es nicht ohne. Die innere Dimension wirkt per se in allen lebendigen Systemen (vgl. AQAL Modell Ken Wilber), nur wie?

Die innere Dimension des Wandels wahrnehmen und als Kraftquelle nutzen

Jenseits der Zahlen ist die „seelisch-kulturelle Krise“ wahrnehmbar, die „eigentlich all den überlagerten Krisen unserer heutigen Zeit zugrunde liegt“ (Thomas Jorberg). 

Wenn individuelles und kollektives Handeln im Einklang mit dem Denken, Fühlen und Wollen ist, dann erleben Menschen Stimmigkeit. Es ist innerlich schmerzvoll und zehrend, wenn die Harmonie von Körper, Seele und Geist nicht gegeben ist. Krankheit kann die Folge sein. Das gilt für den Einzelnen (z.B. mit Erschöpfung), aber auch als Kollektiv krankt unsere Gesellschaft (z.B. mit dysfunktionalen Wirtschafts, Gesundheits- oder Bildungssystemen, Krisen und Krieg). Das Handeln hat sich von der inneren Dimension getrennt. 

Schmerz und Krankheit können Treiber für Entwicklung sein, wenn wir sie angehen. Insofern sind Krisen auch oftmals Wendepunkte. Ein Zukunftsbild von Thomas Jorberg ist die ganzheitliche Gesundheit – innerlich und äußerlich, individuell und kollektiv. Die Benennung und Integration der inneren Dimension des Wandels – Bewusstsein und Kultur – ist parallel zur äußeren sichtbaren Dimension von Strategie, Organisation, Strukturen und Prozessen im Feld der GLS Bank immer schon wesentlich. Ich glaube, dass die GLS Bank aus der Bewusstseins-, Werte- und Kulturarbeit sehr viel Kraft bekommt, die sie braucht, um gegen den Strom zu schwimmen.

Im Rest der Wirtschaft ist eine Überbetonung der sichtbaren, äußeren Dimension ein Hauptgrund für die oben angesprochene Schieflage. Ins kollektiv innovative Handeln kommen wir nicht ohne die parallele Arbeit in der inneren Dimension. Hier stecken Kraft und Mut wirklich neue Wege zu gehen.

Mit der Quelle arbeiten

Bemerkenswert finde ich in der GLS Bank vor allem auch die Bewusstheit für die innere Dimension im Rahmen des bedeutenden Wechsels in der Führungsetage. Thomas Jorberg hat die GLS Bank jahrzehntelang begleitet, entwickelt und geprägt. Die „Beständigkeit, den Pioniergeist und das stringente Festhalten am Geschäftsmodell“ führe ich u.a. auf seinen inneren Zugang zur Quelle und zum Gründungsimpuls der Bank zurück (vgl. Frederic Laloux mit Verweis auf Peter König).

Die verantwortlichen Personen in der GLS Bank sind mit der „Quelle“ und deren Übergabe besonders achtsam umgegangen. Das brauchte Zeit und Raum für Arbeit, die kaum jemals „messbar“ werden wird.

Verarbeitung der Eindrücke

Wege finden, wo es scheinbar keine gibt. (Thomas Jorberg)

Unsere Zusammenarbeit mit Thomas Jorberg, mit Kolleg*innen in der Bank und mit Kund*innen der GLS Gemeinschaft haben wir 2022 unter anderem in einem Film verarbeitet. Er ist ab Februar 2023 öffentlich verfügbar. Wir hoffen, dass der Film dazu inspiriert, aus einem neuen, frischen, unbelasteten Denken und Fühlen mit Mut und Kraft ins individuelle und kollektive Handeln zu kommen und gemeinsam eine lebenswerte Zukunft zu schaffen.

Im Februar wird der Film „Schütze die Flamme“ veröffentlicht!

Hier sind mehr Infos zu unserer kulturkreativen Arbeit in der GLS Bank.

(v.l.n.r.: Julian Wildgruber, Thomas Jorberg, Tanja Misiak, unser Tonmann Dominic Titus)

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Reflexion Online-Kongress „Mensch und Organisation in Krisenzeiten“ – Menschlichkeit als Erfolgsfaktor oder bloße Sozialromantik? https://tanjamisiak.de/lighthouse-lab-kongress Tue, 08 Mar 2022 15:36:50 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1442

Am 19. März startet der Online-Kongress „Mensch und Organisation in Krisenzeiten“. Ich schreibe diesen Artikel vorab, da ich im Rahmen meiner Arbeit für das Lighthouse Lab bereits alle Interviews angeschaut habe. Die Frage im Untertitel lautet „Menschlichkeit als Erfolgsfaktor oder bloße Sozialromantik?“

In vielen Arbeitsumgebungen gilt es heute immer noch als „naiv“ den Menschen zu sehr in den Vordergrund zu stellen, vor allem vor die Maximierung von Gewinnen. Dass dieses gewinnfokussierte Denken Teil des Problems ist, zeigt mir der Kongress aus den unterschiedlichsten Perspektiven. 

Die Sprecher:innen im Kongress und auch der Interviewer Michael Knauf zeigen mit Beispielen, Geschichten und Erfahrungen, wie Menschen und Organisationen auf ein anderes Level kommen können. Geld und Gewinne kommen zurück an ihren Platz als Mittel statt als Zweck. Die Gesundheit von uns Menschen in Verbindung mit uns selbst, den Mitmenschen und der Natur mit allem, was dazu gehört, rutscht zurück in den Fokus.

Sozialromantik?

Ob die Weitung des Blicks über die Gewinne hinaus nicht naiv sei? Hierzu gibt es im Kongress viele Antworten. Grundtenor ist: ohne Menschlichkeit sind die Unternehmen und unsere Wirtschaft nicht langfristig gesund. Unser System ist in vielen Teilen unmenschlich und zu viele Menschen brennen regelrecht aus. Ein maschinelles Funktionieren geht für lebendige Systeme nicht gut. 

Viele Sprecher:innen teilen die Erfahrung, dass ein Fokus auf finanzielle Gewinne in vielerlei Hinsicht den Fokus verengt, den Möglichkeitsraum verkleinert und sich kontraproduktiv auf die Unternehmensentwicklung auszahlt.

Manche Unternehmen im Kongress stellen ihre kurzfristige Gewinnerzielungsabsicht klar hinter ihre menschlich orientierten Werte. So hat bspw. Sonett seine Preise trotz massiver Kostensteigerung während der Pandemie nicht erhöht, um seinen Kund:innen treu zu bleiben und diese zu unterstützen. Sie glauben fest an die Nachhaltigkeit dieser Strategie. Andersherum wurden sie aufgrund ihrer Treue bei Lieferengpässen von Lieferanten bevorzugt.

Bianca Lammers von der Otto Group – ein Unternehmen an der Börse – fühlt sich von den Aktionären unterstützt und motiviert. Sie sehen, dass der Kulturwandelprozess dem Unternehmen gut tut und stehen unterstützend dahinter. 

Detlef Lohmann von Allsafe beeindruckt durch sehr geradlinige Standpunkte. Für ihn geht es um die Sicherstellung der gemeinsamen Leistungserbringung. Die Lebendigkeit des Unternehmens steht für ihn im Fokus. Das geht mit Egoismus nicht. Er beschreibt äußerst undogmatisch, wie er „mit gesundem Menschenverstand“ Vertrauensvorschuss austeilt und die Gemeinschaft im Dienste der Leistungsfähigkeit der Organisation ausrichtet. Die Gemeinwohlorientierung wird auch von Unternehmer Uwe Lübbermann (Premium Kollektiv) ähnlich undogmatisch und eindrücklich beschrieben. 

Auf die Spitze treiben es dann Nadine Stalpes und Timo Wans, die mit Myzelium Projekte nach Prinzipien des gemeinschaftsbasiertes Wirtschaftens hochziehen. 

Menschlichkeit kann auch unromantisch sein

Von der Ausgangsfrage der Sozialromantik kommend, beschreiben Oliver Groß und Andreas Roth von Sonett, dass deren Art und Weise zu arbeiten sogar manchmal äußerst unromantisch sei. Das direkte Ansprechen und Verarbeiten von Konflikten ist sicher der unbequemere Weg, weitet jedoch den Handlungsspielraum nachhaltig und dauerhaft. Worum geht es also bei der „Menschlichkeit“?

Zwei Grundbedürfnisse 

Mehrere Sprecher:innen benennen die zwei Grundbedürfnisse von uns Menschen, die in allen Überlegungen zu Kultur- und Organisationsentwicklung integriert sein müssten. Es geht um Autonomie/ Mitgestaltung/ Wachstum auf der einen Seite und Verbundenheit/ Zugehörigkeit auf der anderen Seite.

Sebastian Purps-Pardigol beschreibt das in seinem Interview wunderbar aus neuobiologischer Sicht: In Phasen der Unsicherheit beruhigt es mitgestalten zu können. Dann reduzieren sich körperliche Stressreaktionen messbar. Durch das eigene Mitgestalten bedeuten uns die entstehenden Prozesse mehr. Emotionale Zentren werden aktiviert, die uns den optimalen Zugriff auf unsere kognitiven Fähigkeiten geben. Wenn Menschen miteinander gestalten, stärkt das die Gemeinschaft. Das kommt wiederum dem Grundbedürfnis von Verbundenheit entgegen, weshalb die Menschen noch mehr bereit sind sich zu engagieren. 

Bedeutung der Gesundheit

Das Decken der zwei genannten Grundbedürfnisse haben eine direkte Auswirkung auf die Kohärenz in Hirn und Körper mit allen neurobiologischen Implikationen.  Eine hohe Kohärenz ermöglicht einen optimalen Zugriff auf unsere kognitiven und kreativen Fähigkeiten. Sie macht nachhaltig gesund.

Prof. Dr. Tobias Esch geht unter anderem sehr weitreichend auf den Gesundheitsbegriff ein. Er ergänzt die bio-psycho-soziale Gesundheitsdefinition der WHO mit weiteren Dimensionen der Gesundheit. So macht es uns Menschen auf Dauer krank, wenn wir keine Antworten auf Sinn gebende Fragen haben: Wofür stehe ich morgens auf? Wofür gehe ich arbeiten? Auch kulturelle Fragen brauchen ihre Antworten: Bin ich in meinem Leben zu Hause? Lebe ich das richtige Leben?

Durch die Benennung zusätzlicher Dimensionen für Gesundheit können wir damit individuell und in Organisationen arbeiten anstatt sie zu übersehen. Denn eines liegt auf der Hand: Gesunde Menschen im allumfassenden Sinne können eher eine zukunftsfähige Gesellschaft gestalten als kranke Menschen mit ihren Einschränkungen.

Bedeutung von Wohlstand

Vivian Dittmar ergänzt sich wunderbar mit den erweiterten Gesundheitsbegriffen. Sie überträgt zusätzliche Dimensionen auf den Wohlstandsbegriff. Durch das Benennen von Wohlstandsarten über den finanziell-materiellen Wohlstand hinaus können wir unseren Blick weiten und unsere Prioritäten für das Leben als Menschen und Organisationen anpassen. Sie spricht vom Wohlstand Zeit zu haben, vom Wohlstand Beziehungen zu pflegen, vom Wohlstand kreativ sein zu können sowie vom spirituellen und ökologischen Wohlstand. Wie geht es uns Menschen in einem Leben, das reich an Verbindung mit uns selbst, unserem Lebenssinn, unserer Lebenszeit, den Mitmenschen, der Natur und der eigenen Schöpferkraft ist? Natürlich schwingt die Kritik an unserem konsumgesteuerten Wirtschaftssystem mit. Prof. Dr. Gerald Hüther zeigt eindrücklich, wie dieses Wirtschaftssystem in die Bildung und unsere Organisationen einwirkt. Mehrere Systemfehler stellen uns vor komplexe Probleme.

Bedeutung der Innenwelt

Diese Themen legen nahe, dass wir mit den äußeren Dimensionen von Strukturen und Prozessen in der Organisationsentwicklung zwar wichtige Errungenschaften haben. Wir werden unsere Probleme der heutigen Zeit jedoch nicht lösen können, wenn wir die inneren Dimensionen weiter ausblenden. Für die Integration dieser Dimensionen gibt es zahlreiche Modelle und Ansätze. Der Begriff „Innere Arbeit“ ist vielen Beteiligten in der Wirtschaftswelt ein Dorn im Auge. „Zu esoterisch“ oder eben „sozialromantisch“. Einige Sprecher:innen beschreiben, wie sie die skeptischen Führungskräfte anschlussfähig abholen, wenn es um „Innere Arbeit“ geht. Vivian Dittmar nimmt den Weg über die Ratio und erklärt erst mal die Existenz von Emotionen, warum und wie wir mit ihnen arbeiten müssen. Sebastian Purps-Pardigol spricht nie von innerer Arbeit und nimmt den Weg über die Neurowissenschaft, um Führungskräfte in Kontakt mit sich selbst zu bringen. 

Übrigens geht diese Art der Arbeit über die innere Haltung hinaus. Wir können die beste innere Haltung vertreten und trotzdem nach einem Trigger zerstörerisch ausrasten. Dann zählt die Arbeit mit der inneren Verfasstheit, mit unseren Zuständen, die sich dutzende Male am Tag verändern können. Ein Experte für diese physiologisch-messbaren Zustände ist Sprecher Stephen Porges.

Es ist vor diesem Hintergrund wenig wirksam jahrelang auf dem Meditationskissen zu sitzen. Die Sprecher:innen von Sonett machen sehr anschaulich, wie die innere Arbeit in den Arbeitsalltag einfließt und sie als professionelle Partner aneinander wachsen. Die Präsenz und Wirkkraft der inneren Dimensionen – individuell und kollektiv – ist ein Schlüssel für Wandel und Innovation.

Transformationsbegriff

Stefan Bauer von Eli Lilly macht innere Arbeit – privat und bei seinem Arbeitgeber. Für ihn ist die Reflexion – der Schritt nach hinten – wertvoller als die oft übereilten Schritte nach vorne. Reflexion und innere Arbeit können die Schlüssel zur Transformation sein. Transformation passiert dann, wenn sich der Kontext verändert. Dies kann bspw. geschehen, wenn zu einer äußeren Dimension noch eine innere Dimension dazu kommt und sich dadurch das eigene Denken ändert. 

Dr. Markus Strobel und Thomas Strauß von der IMU Augsburg stellen fest, dass viele Organisationen Projekte auf falschen Leveln durchführen und dies zu einem unglaublichen Verschleiß führt. Eine „vertikale Transformation“ verändert das vorherrschende Welt- und Menschenbild in der Organisation. Reine Fachprojekte verändern dagegen nicht den Kontext. Auch Change-Projekte verändern vielleicht Prozesse und Strukturen und können die inneren Dimensionen einbeziehen. Doch solange sie nicht das dahinter liegende Weltbild berühren, werden sie die Organisation nicht aufs nächste Level bringen.

Kulturwandel angehen

Bianca Lammers beschreibt sehr anschaulich, wie sie eine „vertikale Transformation“ in der Otto Group angegangen sind. Die klassischen Tools der BWL – analysieren, ableiten, planen – mussten dafür auf die Seite gelegt werden. Der Wandel gelang über die kleinen Schritte der Impulse, die in die Organisation gegeben wurden und aus denen jeweils etwas entstand. Wie andere Sprecher:innen auch hebt sie die Bedeutung von den 10-15% der Belegschaft hervor, die richtig Lust haben dem Wandel am Anfang einen Schub zu geben. 

Zum Vergrößern der Initiative hat Bianca Lammers mit ihren Kolleg:innen gelernt auf den unterschiedlichen inneren und äußeren Ebenen zuzuhören und gemeinsam die nächsten Schritte abzuleiten. Die Ereignisse, die den Prozess im Rückblick so erfolgreich machen, konnten im Vorhinein keinesfalls geplant werden. Dieses spezielle Zuhören erfordert das Aktivieren von echter Neugierde, Mitgefühl und Vertrauen. 

Das Neue durchschimmern sehen

Christine Wank vom Generative Facilition Institute ist wohl eine der Expertinnen für den Aufbau der inneren Zuhör-Instrumente. Sie sind der Schlüssel für vieles, was Neues entstehen kann. Sie redet von Kairos – dem günstigen Zeitpunkt oder der guten Gelegenheit. Unser lineares Denken und unser chronologisches Zeitverständnis hindern uns manchmal daran das Neue zu erkennen, das jetzt im Moment schon durchschimmert. 

Holger Scholz von den Kommunikationslotsen macht auf den weichen sanften Blick aufmerksam, der oft zieldienlicher ist, um das Neue zu erkennen, zu benennen und zu stärken. Was kann daraus entstehen? Nicht irgendwann irgendwo, sondern jetzt und hier? Die Weitung der Wahrnehmung kann sowohl individuell als auch kollektiv geübt werden.

Die Realität sehen wie sie ist 

Eine innere neugierige Einstellung und ein gutes Zuhören lädt dazu ein, weniger auszublenden und sich mehr im Moment bewusst zu machen. Das Ausblenden ist oft nicht nur auf Bequemlichkeit zurückzuführen, sondern hat seinen Ursprung in tiefer liegenden inneren Prozessen. Thomas Hübl erläutert die Bedeutung von Trauma, die auch kollektiv wirken. Wir können durch die innere Arbeit lernen, weniger auszublenden, mehr zu re-integrieren, mehr wahrzunehmen, uns mehr bewusst zu machen, zu erkennen und zu benennen. Die Bedeutung der Bewusstseinsentwicklung wird in vielen Gesprächen betont.

Transformation über das Erkennen und Benennen von Grundannahmen

Die transformative Wirkung durch die Veränderung des Menschenbilds wird bei den Kommunikationslotsen anschaulich klar. „Bedeutung liegt nicht in den Dingen wie der Keks in der Schachtel,“ sagt Roswitha Vesper. Wir können lernen, den Dingen stärkende Bedeutungen zu geben.

„Jeder tut sein Bestes immer,“ ist eine Annahme, die Holger Scholz beim Deuten nutzt. Die Annahme löst los von Schuldzuweisungen und blockierenden Konflikten. Dadurch öffnen sich konstruktive Lösungen. Mit Grundannahmen können wir uns selbst „ertappen“. Im Erkennen und Benennen beginnen wir mit ihnen zu arbeiten und zieldienlich anzupassen.

Ko-Kreation ersetzt Führung

Eine weitere starke Grundannahme: „Ko-Kreation ersetzt Führung.“

Wir müssen nicht alles alleine wissen oder tun. Claudine Nierth von „Mehr Demokratie“ fragt sich, was passiert wäre, wenn der Gesundheitsminister uns alle zu seinen Mitarbeiter:innen gemacht hätte anstatt den Anspruch zu haben alles besser zu wissen. Mit dem Bürgerrat hat sie es geschafft, sehr viele sehr unterschiedliche Menschen miteinander arbeiten zu lassen. Die Spaltung der Gesellschaft ist nicht das Problem, sagt sie. Die Frage ist nur, wie wir die Spaltung halten und mit ihr umgehen. 

Facilitatives Führen

Ines Sterling beschreibt anschaulich, wie sie sich um ihre Mitarbeiter:innen kümmert. Als Führungskraft sieht sie es als ihre Hauptaufgabe sich darum zu kümmern, dass es ihr und ihren Mitarbeitern:innen gut geht. Sie stellt sich explizit in den Dienst ihrer Mitarbeiter:innen, um diese in ihrer Autonomie und ihrem Wachstum zu stärken. 

Holger Scholz spricht vom „Facilitative Leadership“: Die Führungskraft begleitet, ermöglicht, erleichtert Prozesse, um die besten Rahmenbedingungen dafür zu bieten, dass sich die Mitarbeitenden selbst entfalten können und ihre Talente zum Ausdruck bringen.

Dr. Michael Dumpert und Gerd Sunder-Plassmann von der Naturtalent Stiftung beschreiben ihre konkrete Arbeit mit dem Gallup Strenghtfinder, unter anderem bei der Spardabank München. Sie zeigen, wie es hilft sich selbst besser zu erkennen und den eigenen Platz in der Organisation zu finden. Die Unterstützung der Führungskraft als „Rahmengeber:in“ ist wesentlich, damit das Tool nachhaltig in der Organisation wirken kann.

Bedeutung von Sprache

Auch bei Nicole Kobjoll vom Schindlerhof kommt es wunderbar rüber, wie sie sich um Ihre Mitarbeitenden kümmert. Wobei sie nicht von Mitarbeitenden spricht, sondern von Mitunternehmer:innen. So betont und respektiert sie die Autonomie der Menschen, die im Schindlerhof arbeiten. Mit dem Wort „Human Resources“ hat sie noch nie gearbeitet, bei ihr sind die Menschen die „Human Stars“ – und das ziemlich wortwörtlich. Einen anderen Impuls zur Nutzung von Sprache gibt Dr. Oliver Haas von Corporate Happiness. Was ändert es, wenn wir nicht mehr von „Recruiting“ sprechen, sondern von „Inviting“? Iniviting drückt eine Haltung aus und vermittelt Neugier für diejenigen, die sich für mein Unternehmen interessieren.

Fazit – Vom Ich zum Wir gemeinsam durch die Krisen

Der Kongress hält das ein oder andere Hirnstretching bereit und schenkt uns eine Unmenge von Denk- und Handlungsimpulsen. Michael Knauf und Dirk Kracker als Initiatoren wollten „das Wissen in die Welt bringen, dass es noch so viel mehr Möglichkeiten gibt.“ Der Kongress kann Führungskräften, Facilitator:innen und Angestellten neue Wege aufzeigen, um uns Menschen durch die aktuellen und noch anstehenden Krisen gut und gesund zu begleiten. 

Ich bin sicher, jede:r nimmt eigene und auch viele andere Dinge aus dem Kongress. Dieser Artikel ist bei weitem nicht erschöpfend. Meine Erkenntnisse werden sich sicher auch noch anreichern, sobald der Kongress gestartet ist und die einzelnen Interviews in den Social Media kommentiert, rezensiert, kritisiert und diskutiert werden. 

Bis dahin kann jede:r noch dabei unterstützen den Kongress bekannter zu machen, damit dieser auch wirklich alle Menschen erreicht, die ihn hilfreich finden würden.

Zum Lighthouse Lab

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Wie durch Bilder und Worte das Neue in die Welt kommen kann – Ein Gespräch mit Mathias Weitbrecht von den Visual Facilitators. https://tanjamisiak.de/blog-bilder-und-worte Fri, 21 Jan 2022 15:19:20 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1427

In einem Online-Kurs bei den Visual Facilitators stellte uns Mathias Weitbrecht eine Audio-Datei  für die Einstimmung vor dem Zusammentreffen mit derm Kunden zur Verfügung. Nachdem ich mich schon länger mit der inneren Arbeit an der eigenen Haltung (besonders vor Terminen) beschäftigt habe, schätzte ich diese gehaltvolle Audio-Datei sehr. Ich lud Mathias zu einem Dialoginterview ein. Ich wollte mehr über ihn und seine Geschichte erfahren und vor allem mit ihm gemeinsam erleben, was ihn in die Zukunft zieht. Wie und wofür arbeitet (wirklich) jemand, der sich so bewusst auf Termine vorbereitet?

Woher Mathias kommt

Mathias‘ erster Zugang zum Visual Facilitating war einer der Begründer David Sibbet, der bereits seit 1972 als Visual Consultant Veränderungsprozesse begleitet hat. Als Mathias 2005 die Arbeit mit den „Visual Facilitators“ begründete, gab es nur ein paar Dutzend Leute in Deutschland mit ähnlichen Angeboten. So wurde er einer der Pioniere des Graphic Recording in Europa. Und er begleitete große Unternehmen und Konzerne mit der Visualisierung von Strategieentwicklungsprozessen und Zielen. Mathias‘ Bilder und Wörter schaffen im Prozess eine emotionale Verbindung und holen alle Beteiligten auch partizipativ ab. Dieses Vorgehen ist wichtig, damit alle auch gefühlt an einem Strang ziehen. Und Veränderung gelingt.

Spannend finde ich den Wandel seit März 2020. Was sich vorher schon für die Visual Facilitators abzeichnete, manifestierte sich durch die Corona-Krise mit einem „Turbo“. Sie arbeiten nicht nur hauptsächlich online, sondern wechseln auch ihre Zielgruppe – weg von großen Organisationen und Konzernen. Mathias und sein 35-köpfiges Team begleiten seit dieser Zeit vorrangig den Mittelstand und Selbständige. Ihm ist heute mehr denn je wichtig, bei Aufträgen im kontinuierlichen Austausch mit den eigentlichen Entscheider*innen zu sein – und das gestaltete sich bei den Konzernen oft schwierig. So gestaltet er seinen Beitrag bewusst wirkungsvoller. Mathias blüht sichtbar auf, wenn er mir von seiner Arbeit mit Leuten erzählt, die etwas Neues in die Welt bringen wollen. Und gerade jetzt während der globalen Krise müssen sich viele Menschen und Organisationen (nicht nur im Mittelstand) neu aufstellen. Wie schaffen sie es, sich für die anstehenden Umwälzungen, die durch einen globalen digital-finanziellen Komplex initiiert werden, neu zu erfinden?

Mathias legt gerade jetzt in der Zeit von Social Distancing und HomeOffice viel Wert auf intensivere, fruchtbarere und inspirierendere Beziehungen. In unserem Gespräch kann ich gut nachvollziehen, dass ihm dieses beziehungsnahe Arbeiten und Wirken mit den Entscheidern viel Freude bereitet. Mathias arbeitet nicht mit Leuten, die sich eigentlich (jetzt) nicht bewegen möchten oder sich nur für bestimmte Kennzahlen einsetzen. Durch diese klare Ausrichtung auf echte Wirksamkeit fühlt sich Mathias mit den aktuellen Zeiten gut. Es wird nie wieder so wie vor der Pandemie. Eine neue Welt und Parallelgesellschaften entstehen, und er freut sich, Teil von neuen Initiativen zu sein – und seien sie noch so klein. Das ist seine Art, die Welt mitzugestalten. Diese Arbeit erfüllt ihn für mich sehr spürbar.

Fokus auf das „Wie“

Die „Szene“ rund um Graphic Recording und Visual Facilitation ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen. Der Bedarf ist groß. Die Anbieter*innen kommen teilweise aus ganz anderen Hintergründen, z.B. aus der Kunst oder Illustration. Und diese arbeiten teilweise mit anderen Motiven und einer anderen Haltung. Mathias und die Visual Facilitators GmbH zeichnet in diesem wachsenden Feld die langjährige Erfahrung mit Organisationen und Transformationsprozessen aus. Für ihn ist „Visual Facilitation“ eine stark Prozess-orientierte Arbeit (ganz im Sinne, wie diese Tätigkeit einmal erfunden wurde). Er redet von der Kraft des Bildes. Diese Power möchte er verantwortungsvoll einsetzen. Ein Bild kann während eines Workshops alles im Raum verändern. Auch wenn es 2 Sekunden später im Müll landet oder gelöscht wird, bleibt die Wirkung des Bildes in der Gruppe verankert. Während bei Kunst oder Illustration das Endprodukt für die Kund*innen wichtiger ist, ermöglichen beim „Visual Facilitation“ die Bilder einen transformativen Prozess:

Es muss nicht schön aussehen – es muss funktionieren.

Für Mathias steht daher beim Visualisieren der Prozess im Vordergrund, nicht das Ergebnis. Die Kund*innen greifen die Bilder während des Visualisierungsprozesses auf und denken, benennen und gestalten sie im Entstehungsprozess weiter. Kein Wunder, dass dieses zur-Verfügung-stehen als Visualisierer*in eine besondere Art der Haltung und Vorbereitung erfordert.

Wirkung in einem Wort

„Wie würdest Du denn Deine Wirkung beschreiben?“ fragte ich. Mathias antwortete mit einem Wort:

Klarheit.

Die Zeiten sind heute wie noch nie zuvor volatil und unsicher. Kund*innen können oft noch nicht mal mehr die Probleme benennen und formulieren, für die sie Lösungen suchen. Oft fühlt sich die aktuelle Situation einfach nur ungut an. Viele stapfen im Dunkeln und suchen neue Wege – ohne Klarheit. Mathias und sein Team stellen im Prozess Wörter und Bilder zur Verfügung. Das Benennen und Visualisieren bringt das Gegenüber mit der Vision und den Zielen in Verbindung. Dabei setzt Mathias explizit sein Talent dafür ein, große Zusammenhänge zu erfassen und auch kleine und leise Stimmen zu integrieren – und diese zu veranschaulichen. Die Vision bekommt – manchmal wortwörtlich – Hand und Fuß. Sie wird sicht- und greifbar. Die Ziele werden klarer. Die Kund*innen erkennen und benennen ihre gemeinsame Ausrichtung und nächsten Schritte. 

Mathias spricht aus seiner Erfahrung. Er sagt: Nur Menschen mit einer klaren Vision und entsprechenden Zielen können gut durch diese Zeiten navigieren. Sie wissen „Dafür stehe ich, dafür setze ich mich heute ein und der Status Quo macht Sinn.“

Du bist das wichtigste Werkzeug

Mathias beschrieb mir, wie diese Art der Arbeit aus seiner Sicht eine weite Öffnung für die Anliegen der Kund*innen erfordert. Er macht sich innerlich „leer“ bzw. „neutral“ und legt seine eigenen Themen beiseite. Er öffnet sich für unterschiedliche Perspektiven und macht sich bereit mit den unterschiedlichen Sichtweisen und auch Widersprüchen zu arbeiten. Gleichzeitig bleibt er „engagiert“. Er stellt sich bewusst dem Neuen, was entstehen will, zur Verfügung. So fühlt sich dieser Modus für ihn sehr aktiv an. Aus diesem Zustand lässt er sich vom Potenzial im Raum Formen, Farben und Wörter geben. Dabei ist er im Grunde eher ein „Kanal“ und nicht „Quelle“ der Ideen. Und er stellt sich weniger dem Bild, als dem Prozess zur Verfügung. Er ist mehr von der Zukunft und deren Potenzial motiviert, und weniger von der Vergangenheit und überalteten Mustern:

Ich kann nicht alles wissen und muss das auch gar nicht, doch ich weiß, dass es immer einen größeren Zusammenhang gibt.

Vertrauen in sich und dem Zugang zum Potenzial ist hier wesentlich. Auch das möchte kultiviert werden.

Ich vertraue mir, dass mir die richtigen Bilder kommen.

Mathias’ Arbeit baut auf der Kunst des Zuhörens und dem Befähigen der Beteiligten auf. Aus seiner Erfahrung sagt er sehr überzeugend:

Auch wenn es im Prozess mal zäh oder dunkel wird, am Ende gibt es immer ein Licht und eine (neue) Lösung. Darauf richte ich mich aus.

Ein Alltag in Zeitblöcken

Für mich war es spannend, wie Mathias diese innere Arbeit in seinen Arbeitsalltag integriert. Das erfordert Raum und Zeit. Mathias erzählte mir, dass er den Morgen vor allem für die persönliche Entwicklung, Meditation, Atem, Yoga und Weiterbildung nutzt. Idealerweise setzt er sich alle Meetings, Gespräche und Workshops auf den Nachmittag. Auf diese Weise bekommt er die Gratwanderung zwischen innerer Arbeit und Wirkung nach außen ziemlich gut hin.

Reflexion des Gesprächs

Mathias inspiriert und ermutigt mich für meinen eigenen Weg – vor allem das „Wie“, aber auch natürlich das „Was“. Die Begleitung von Kund*innen in Strategieentwicklungsprozessen erfordert weit mehr als ein analytisches Denken. Mathias verwendet das Wort „empathische Offenheit“. Die Fähigkeit, Menschen bei ihrer Arbeit „am“ Unternehmen wirklich zu ergreifen und äußerlich wie innerlich zu bewegen geht über die reine Kopfarbeit hinaus. Gute Kommunikation am Rande der Komfortzone ist hier der Schlüssel. Wörter mit Bildern anzureichern ist da wahrscheinlich die Königsdisziplin. 

Danke Mathias fürs inspirierende Gespräch und weiterhin viel Erfolg!

Mehr Infos zum Vertiefen

Website der Visual Facilitators 

Website von Mathias

Mathias auf Instagram

Meine Visualisierung des Gesprächs

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Stille als Kompetenz – Wie das Innehalten den Projektalltag verändern kann. https://tanjamisiak.de/stille-als-kompetenz Fri, 25 Jun 2021 09:00:30 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1411

Mitten im Projekt, mitten im Meeting, ein Schlagabtausch von Inhalten und Themen, die mich langweilen oder stressen oder beides. Ich fühle mich zunehmend angespannt, Widerstand und Unlust steigen in mir hoch. Eine Überzeugung schleicht sich ein: Es ist kein Tag für große Sprünge. Wir zerreden und zerfasern uns und niemand mehr glaubt an eine Alternative. Zynismus und unterschwellige Beschuldigungen schleichen sich mit einer Genervtheit in den Besprechungsraum…

Die oben beschriebene Situation kannte bisher jede*r, die*den ich darauf angesprochen habe. Das nahmen zwei meiner Peers und ich uns zum Anlass, diese Art von Meeting zu simulieren und mit Möglichkeiten von Interventionen zu experimentieren. Die Simulation war ein Teil der Zertifizierung als Generative Facilitator, für die wir bis dahin eine einjährige Ausbildung durchlaufen haben.

Wir fragten uns:

Was kann ein kurzer Moment der Stille, der Unterbrechung und des Innehaltens in operativen Meetings bringen?
Wie laden wir Menschen, die aktuell in einem völlig anderen Modus sind, anschlussfähig in eine Reflexion ein?
Wie gehen wir mit dem Zeit- und Ergebnisdruck um, der die Projektmitglieder*innen* antreibt und davon abhält sich Zeit zum reflektieren zu nehmen?

Für die Simulation setzten wir voraus, dass die Projektmitarbeitenden keine oder wenig Erfahrung mit Achtsamkeit, Coaching oder Facilitation haben und keine regelmäßige Reflexion betreiben.

Unsere 12-köpfige Lerngruppe sollte sich für die Simulation vorstellen, dass das zähe Meeting bereits eine Stunde im Gange und noch eine weitere Stunde verfügbar ist. Drei Teilnehmende unserer Gruppe spielten aktiv Teilnehmende des simulierten Meetings. Die anderen waren Beobachter*innen. Wir wurden mit Feedbacks und Anregungen nicht geschont. In 15 Minuten gingen wir durch drei Phasen der Intervention. Diese hatten wir zu dritt im Vorlauf bereits mehrere Male durchgespielt und angepasst.

1. Intervention und Einladung zum Innehalten
2. Innehalten
3. Überleitung in den weiteren Verlauf des Meetings

Aus dieser Erfahrung fasse ich ein paar Learnings und Erfolgsfaktoren zusammen, die ich nach den Phasen der Intervention sortiert habe. Der erste Erfolgsfaktor steht bereits vor Phase 1.

Vorbereitung

Was wir gleich erfahren durften: Unser eigener innerer Zustand ist wesentlich für den Erfolg der Intervention. So merkte ich nochmals leibhaftig, wie schwierig es ist in einem zähen Meeting nicht selbst zäh zu werden. Mit einigen Sekunden bis Minuten der bewussten inneren Arbeit kann ich mich auf die Intervention vorbereiten: welche Intention habe ich mit der Intervention? Welche inneren Qualität möchte ich besonders einladen, z.B. Neugierde, Mitgefühl oder den Mut neue Wege zu gehen? Ich muss mir klar sein, dass ich diese Intervention notwendig und sinnvoll finde.

So geht die Arbeit mit meinem eigenen inneren Zustand wie sonst auch immer allem voran.

Phase 1: Intervention und Einladung zum Innehalten

Wertschätzung

Ich möchte die bisherige Arbeit, die schon in diesem Meeting steckt, explizit wertschätzen. Auch die Wichtigkeit der besprochenen Punkte schätze ich wert. Andersherum formuliert geht es mir also nicht darum zu vermitteln, dass wir gerade alles falsch machen und deswegen eine Unterbrechung notwendig ist. Ich will niemanden vor den Kopf stoßen.

Von sich reden

Ich kann am besten von mir aus intervenieren. So zeige ich, wie es mir gerade geht: Ich benenne die zunehmende Anspannung in mir. Ein Bild vereinfacht mir die Darstellung. So testete ich in unserem Experiment nach mehreren Anläufen ein Bild, an das alle andocken konnten: „Ich habe das Gefühl wir brettern mit 200 über die Autobahn und haben auch keine Zeit mehr uns umzuschauen. Ich würde gerne mal das Tempo verlangsamen und uns erlauben die Straße und Umgebung zu sehen…“
Vielleicht befinden wir uns sogar in einem Tunnel. Gut funktioniert hat auch das Bild eines Bootes. Die Bilder vermitteln, dass wir alle „im gleichen Boot“ sitzen und jede*r von uns betroffen ist.

Neugierde und Mitgefühl zeigen

Mit oder ohne Bild kann ich Neugierde für die anderen zeigen. Nachdem ich von mir gesprochen habe, kann ich die anderen einladen sich (ganz im Stillen) zu öffnen. „Ich frage mich, wenn Ihr das hört, wie geht’s Euch dabei?“ oder „Wie ist das jetzt für Euch?“ oder „Ich frage mich, was braucht es jetzt?“

Auf Alternativen deuten

Oft ist es ja so: in diesen angespannten Meetings glauben die wenigsten noch daran, dass es anders laufen könnte. Als Facilitatorin zeige ich, dass es durchaus andere Wege geben kann. Ich spreche eine Einladung aus:

Lasst uns mal schauen, ob wir nicht anders weitermachen können.

Klarheit im Cut

Ich spreche die Einladung nicht als Frage aus. So ist ein „Nein“ nicht ganz so einfach. Ich gehe in Führung.

Körpersprache einsetzen

Meine Körpersprache hat den anderen geholfen und unterstrich meine Klarheit für das, was ich vorschlage. So machte ich (zu dem Zeitpunkt sehr unbewusst) vor meinem Autobahn-Bild ein Stop/ Halt-Zeichen mit meinen Händen. Das überzeugte die Teilnehmenden.

In der Führung bleiben

Wenn ich bis dahin alle erreicht habe und am Wendepunkt bin, dann muss ich in der Führung bleiben. Ich übernehme Verantwortung für den kleinen Zwischenprozess, den ich da angestoßen habe. Zu viel Zeit darf dabei nicht ins Land streichen. Die Teilnehmenden sind dabei sich auf etwas einzulassen, sind aber noch nah genug am „alten“ Zustand direkt wieder zurück zu springen. Jetzt geht’s direkt weiter. In einer Sequenz habe ich gezögert und die Teilnehmenden nutzten die Lücke im Prozess, um die Intervention und überhaupt alles zu hinterfragen.

Das „Wozu?“

Wozu lohnt es sich jetzt für die Teilnehmenden ihr Gehirn auf andere Bahnen zu bringen? Das kostet schon Überwindung und bedeutet kurzfristig mehr Energie als einfach weiter im Verlauf des Meetings mitzuschwimmen. Wozu also dieses Einlassen auf den „Umweg“?
Mich persönlich schmerzt es, wenn die Mitarbeitenden nicht mehr in ihrer Kraft sind. Doch es scheint nicht für alle ein hinreichendes Argument zu sein, dass psychische Anspannung und Erschöpfung im Meeting ein Symptom von Dysfunktion sind.
Die anschlussfähige Formulierung meiner Einladung ist der Knackpunkt. In eher konservativen Umfeldern würde ich formulieren, dass ich deutliches Potenzial sehe die Effizienz für das Meeting zu erhöhen. Wir können lernen besser zusammen zu arbeiten und können unsere Projektziele besser erreichen.

Pacing

Das Pacing ist ein weiterer Erfolgsfaktor. In einer Übungssequenz lernten wir das sehr anschaulich. „Je sanfter Deine Stimme war, desto mehr Widerstand ist in mir entstanden,“ spiegelte eine Teilnehmerin zurück. Wenn die Diskussion hitzig ist, muss ich mich unabhängig von meiner inneren Einstellung bewusst in meinem Ton, meiner Körperhaltung und Redegeschwindigkeit anpassen. Mit meiner Haltung bin ich bereit der Aggression und Ungeduld im Raum zu begegnen und diese proaktiv aufzugreifen. Die Message ist „Ich sehe Dich, Ich fühle Dich, genauso, wie Du da bist.“ Ich kann „schwierige“ Zustände gut nehmen. Spätestens jetzt profitiere ich von meiner Coaching-Erfahrung.

Mandat einholen

In unserer Reflexion stellten wir fest, wie wichtig es als Facilitator ist, sich bestenfalls bereits in der Auftragsklärung ein Mandat für solche Arten der Intervention einzuholen.

Kulturentwicklung

Des weiteren ist diese Art der Intervention deutlich einfacher, wenn ich vorher bereits mit dem Team geübt habe. So versuche ich nach dieser Lernerfahrung umso mehr, in neuen Teams Momente des Refokussierens von Beginn an zu zelebrieren. Wenn es hart auf hart kommt, ist das Team deutlich fähiger einen Bruch ins Meeting zu lassen. Regelmäßige Action-Reflection-Meetings können vorsorgen, dass diese Art von Intervention nicht mehr notwendig ist.

Phase 2: Innehalten

Die kurze 5-minütige Achtsamkeitsübung unterteilten wir in zwei Teile.

Erster Teil der Achtsamkeitsübung

Mein Mittel der Wahl zum Ankommen im Moment und zum Aufbau der Verbindung mit sich selbst ist ein kurzer Body-Scan. Der Körper lügt nie. Am Körper erkenne ich, wie es mir wirklich wirklich geht. In angespannten Meetings tendieren viele Menschen dazu komplett in den Kopf zu gehen und sich selbst nicht mehr zu spüren. Hunger, Kopf- oder Bauchschmerzen sowie Müdigkeit werden ignoriert. Sie wirken nur leider dennoch unbewusst. Ein Body-Scan bringt mich in die Realität, so wie sie ist. Von hier aus kann ich viel besser und stabiler wirken. Außerdem verbrauche ich deutlich weniger Energie, wenn ich nichts ausblenden oder überspielen muss.

Zweiter Teil der Achtsamkeitsübung

Im zweiten Teil der Achtsamkeitsübung dürfen sich die Teilnehmenden in Stille und nur für sich ehrliche Antworten geben.
Mit folgenden Fragen würde ich zur Reflexion einladen:

Wie geht es Dir körperlich bezogen auf das Meeting?
Was brauchst Du hier, um Deinen Beitrag in diesem Meeting bestmöglich leisten zu können?
Was kannst Du tun, damit wir erfolgreicher sein können?
Was ist Deine größte Hoffnung für das Projekt?
Bezogen auf das Projekt, wofür setze ich mich ein?

Reflexionsfragen bewusst formulieren

Die Fragen sind bewusst so formuliert, dass sie in die eigene Verantwortung einladen. Jede*r in diesem Meeting hat eine Rolle und einen spezifischen Beitrag. Fragen wie „Wofür ist das Projekt da?“ oder „Wofür setzen wir uns ein?“ können je nach Empfänger*in dazu einladen sich aus der Verantwortung zu ziehen.
Während die ersten drei Fragen mehr im Hier und Jetzt verankert sind, ziehen die beiden letzten Fragen deutlich in das Zukunftspotenzial.

Phase 3: Überleitung ins operative Geschehen

Die Überleitung von der Reflexion in den weiteren Verlauf des Meetings verlangt Feingefühl. Auf der einen Seite steht sicher das Bedürfnis sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Auf der anderen Seite steht die ursprüngliche Agenda.

Umgang mit den Erfahrungen

Zu Anfang der Überleitung spreche ich wieder von meiner eigenen Erfahrung. Ich schildere, wie es mir jetzt im Vergleich zu vor 10 Minuten geht. Vielleicht greife ich mein Bild vom Anfang auf und kann sagen, dass das Tempo sich nun für mich bei stimmigen 50 km/h anfühlt und sich mein Blick weiten kann. Oder dergleichen. An diese Eindrücke können die anderen Teilnehmenden anknüpfen und selbst reflektieren. Die Regel wieder: Jede*r spricht für sich selbst. Sobald Teilnehmende über die Verfassungen anderer Teilnehmenden sprechen, könnte dies als „übergriffig“ aufgefasst werden.

Kurze Reflexion

In unserer Simulation blieben nun noch weitere 5 Minuten für eine Reflexion in der Gruppe. Folgende Fragen waren dafür hilfreich:

Was hast Du in der Übung über Dich und das Projekt gelernt?
Was davon ist hilfreich für Deine weitere Arbeit im Projektverlauf?

Umgang mit der Agenda

Die gesamte Intervention sollte nicht mehr als 15 Minuten bei einem 2-stündigen Meeting in Anspruch nehmen. Falls deutlich wird, dass die Gruppe die Agenda verschieben möchte und die Themen aus der Reflexion viel mehr brennen, kann die Gruppe entscheiden sich den Rest des Meetings für die Reflexion zu nehmen, die Agenda zu aktualisieren und neu zu terminieren. Eine andere Möglichkeit ist die Terminierung eines Workshops, welcher den Erfahrungen der Intervention Raum geben und in dem konkrete präventive „Meetingregeln“ formuliert werden. So könnten die Teilnehmenden die Punkte der aktualisierten Agenda (in einem aktualisierten Zustand) weiter besprechen.

Nachhalten von Veränderungen

Was auch immer die Erkenntnisse dieser Interventionen sein mögen und welche Schlüsse die Meetingteilnehmenden ziehen, das Nachhalten dieser Veränderungsimpulse ist eine Kunst. Ohne Nachhalten wird sich das Team unter Umständen schnell wieder in zähen oder hitzigen Meetings wiederfinden.
Unsere Ausbilderin Christine nannte uns ein witziges Beispiel von einem ihrer Kunden. Dort war in einem Führungskreis benannt worden, dass zu oft unklar und ausweichend formuliert wurde. Die Teilnehmenden redeten um den heißen Brei. Daraufhin hatte sich der Kreis ausgedacht, „Nebelpokale“ an diejenigen zu verleihen, die am unklarsten formulierten. So konnte diese Angewohnheit schnell verändert werden, denn niemand wollte diesen Nebelpokal. Außerdem sorgte eine Spur von Humor für Auflockerung und Entspannung.

Fazit

Der Lerneffekt unserer Simulation war riesig. Eine Verlangsamung der Abläufe und das „Spielen“ mit den individuellen und kollektiven inneren und äußeren Qualitäten birgt großes Lernpotenzial. Vor allem erfordert es Mut und Führungskompetenz, gegen die normalen Gewohnheitsautobahnen einer Gruppe zu schwimmen und Räume der Stille zu öffnen. Dafür ist das Transformationspotenzial gewaltig.

Egal in welcher Rolle wir uns in der Simulation befanden – Beobachter*in, Teilnehmende*r, Facilitator*in – alle fanden die Art der Intervention hilfreich. Bevor eine weitere Stunde auf niedrigem Energielevel vorüberzieht, lohnt sich diese Unterbrechung allemal. Die Meetingteilnehmer*innen konnten sich auf mehreren Ebenen neu verbinden:
– mit sich selbst und den eigenen Zielen,
– Mit den Kolleg*innen im Austausch,
– Mit den Projekt- und Organisationszielen,
– Mit dem Zukunftspotenzial.

Anspannung geht zugunsten von Klarheit. Das Team kann entspannen und baut sich dadurch mehr Raum für Potenzialentfaltung.

Ein ganz besonderer Dank geht an meine zwei Peers Bianca Köllner und Pierre Golbach für diese schöne Lernerfahrung. Danke an die Lerngruppe am Generative Facilitation Institute für das gemeinsame Jahr. Bis bald!

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Social Prototyping – Wie wir die Zukunftsmöglichkeiten ins Tun übersetzen. Reflexion meiner Lernreisenetappe mit Martin Kalungu-Banda vom Presencing Institute. https://tanjamisiak.de/presencing-and-social-prototyping https://tanjamisiak.de/presencing-and-social-prototyping#comments Mon, 24 May 2021 09:25:42 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1393

Facilitate from an emerging future.

Ich lausche dem Potenzial und komme ins Tun. Im Rahmen meiner Lernreisenetappe am Generative Facilitation Institute ging es vier Tage um das Arbeiten mit einer entstehenden Zukunft. Neben Christine Wank war dieses Mal Martin Kalungu-Banda vom Presencing Institute dabei. Der Schwerpunkt war Presencing, eine Zusammensetzung aus Präsenz und Sensing/ Spüren sowie Social Prototyping.
Mit großer Dankbarkeit verarbeite ich hier diese intensiven Tage. Die professionelle Verbindung von innerer Arbeit mit der Begleitung von sozialen Prozessen hatte ich mir in dieser Qualität nicht zu wünschen gewagt.

Martin Kalungu-Banda

Für mich war es schon unglaublich inspirierend, Martin alleine nur zuzuhören. Er ist ein begnadeter Storyteller mit einem unfassbaren Schatz an Erfahrungen als Organisationsentwickler in Gesellschaft und Wirtschaft. Vor 20 Jahren lernte er Otto Scharmer und den damals noch gar nicht veröffentlichten U-Prozess im Rahmen eines Projektes bei Oxfam zur Eindämmung der Ausbreitung von AIDS in Afrika kennen. Diese und die Erfahrungen vieler weiterer Innovations- und Transformationsprojekte für Kunden von Airbus bis zu den United Nations konnten durch alle Prozesse mitschwingen, durch die er uns in diesen Tagen begleitete. Martin machte mir mit seinen Projektbeispielen vor allem Mut.

Das Erdenken, Forecasting und Erfinden von Zukunft als logische Fortschreibung der Vergangenheit ist eine andere Art der Arbeit, die an anderen Stellen sicher auch noch Sinn macht. Wenn es darum geht Prozesse effizienter zu machen, ein laufendes Geschäft zu vergrößern oder Kosten zu sparen, dann reichen diese Methoden. Wenn es jedoch darum geht andere Paradigmen zu schaffen, die persönliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisen angehen, dann kann der U-Prozess mit Presencing und Social Prototyping helfen. Die Bereitschaft zum Hinterfragen von etablierten Systemen, Denkweisen und Paradigmen ist Teil dieser Arbeit. Es geht um die Arbeit AM System, seltener um Veränderung IM System.

Presencing Institute

Wir lernen einen Zugang zum echten Potenzial zu finden und die innere und äußere Verfassung dafür vorzubereiten. Aus diesem „Empfangsmodus“ heraus können wir dann erkennen, wo wir tatsächlich heute stehen. Und dann können wir aus der Zukunft zurück denken und Schritte ableiten.

In unseren gemeinsamen Tagen erkundeten wir die Zukunft und das vom Potenzial inspirierte Tun, Ausprobieren und Experimentieren. Wir fanden so einen Zugang zu einer alternativen Art der Wissensgenerierung und Innovation. Im Folgenden schildere ich einige Ausschnitte unserer gemeinsamen Lernerfahrungen.

Jump logic!

In unserer Lernrunde gehen wir davon aus, dass unser Verstand eine wichtige und notwendige, aber nicht hinreichende Kapazität für Innovation bietet. Wenn wir uns Krisen nur mit rationalem Denken und Logik annähern, begrenzen wir uns wesentlich. Ein „open mind“ kann eine erhellende Erfahrung werden. Martin schilderte uns Situationen aus seinem Leben, in denen er Dinge mit einer Überzeugung tat, die zu diesem Zeitpunkt nicht logisch begründbar waren. Wir alle bestätigten ähnliche Erfahrungen. Martin sprach von einer „anderen“ Wissensquelle. Dabei deutete er auf sein Herz. Vor dem Hintergrund der Projekterfahrungen und Levels, auf denen Martin unterwegs ist, konnten sich sogar auch meine skeptischen Anteile davon berühren lassen.

Martin schilderte uns, dass Zukunftspotenzial nicht irgendwo da draußen ist, sondern im Hier und Heute existiert. Wir kreieren es nicht, wir erfinden es nicht. Wir finden einfach einen Zugang zu ihm durch eine innere Öffnung. Oder anders: Etwas findet uns, was uns braucht, das durch uns – den einzelnen oder die Gruppe – in die Realität gebracht werden möchte.

It‘s accessing, not inventing,

In der Gruppe stellten wir fest, dass wir solche Erlebnisse kennen, aber im Alltag eher als Zufälle abwinken. Doch wir können durch konkrete innere und äußere Vorbereitung mit diesen Momenten der Inspiration ganz aktiv/ kreativ arbeiten. Wesentlich ist dabei die Verbindung: mit mir selbst, mit der Gruppe, mit der Intention und dem Zukunftspotenzial.

Wer bin ich? Was ist mein Auftrag?

Unseren ersten vollen gemeinsamen Tag eröffnete Martin mit einem Video über Nelson Mandela und den Rugby World Cup 1995 in Südafrika. Mandela war offensichtlich ein Mensch mit großer innerer Klarheit. Er wusste wer er war und hatte eine kristallklare Intention. Das Video war von Martin sorgfältig ausgesucht.

Er lud uns ein, uns diese Fragen selbst zu stellen. „Who am I? What is my Work? Who am I to become? What is my Self?“ Mit seiner Art zu sprechen, in seinem Zambian English, mit vielen Pausen, baute er eine ehrwürdige Stimmung auf. In Mandela und seiner politischen Arbeit sahen wir, welchen Effekt diese innere Klärung haben kann. Nun ging es um uns.

Das Zukunftspotenzial berühren

Die folgende Stunde führte Martin uns durch eine Journaling-Sequenz. Er stellte uns Fragen zur Reflexion. Wir waren eingeladen die Antworten nicht übers Nachdenken zu finden, sondern in Kontakt mit unserem Körper durch die Hand und den Stift einfach und impulsiv zu schreiben. Pro Frage ca. 1,5 Minuten Antwortzeit. Er brachte uns so in Kontakt mit unserem Zukunfts-Selbst in seiner schönsten Version. Durch die Fragen betrachteten wir uns selbst aus verschiedenen räumlichen und zeitlichen Perspektiven, wir machten uns unsere Kraftquellen klar. Wir reflektierten, was wir loslassen wollen. Wir traten in zwei Zukunftsfelder ein und kamen mit unserer Intention in Kontakt. Wir schrieben erste Prototypen-Ideen auf und Personen, die uns bei der Umsetzung helfen könnten.

Nach dieser Sequenz machten wir uns auf einen Solo Walk, um das Geschriebene wirken und weiter arbeiten zu lassen. Nach 45 Minuten telefonierten wir uns in Paaren zusammen und reflektierten das Erlebte zuerst zu zweit. In unserer Gruppe teilten wir anschließend unsere Erkenntnisse. Die Stimmung war ganz andächtig. Das Online-Format erlaubte mir und anderen an unseren Lieblingsplätzen in der Natur zu sein. Auch wenn jeder seine eigenen Erlebnisse verarbeitete meinte ich ein paar Essenzen zu erfassen:

  • eine tiefe und demütige Verbindung und Verantwortung für die Natur und die Welt,
  • die Fülle und Ganzheit von allem, was uns umgibt – wenn wir sie nur wahrnehmen können,
  • die Achtung der Lebenskraft, der wir zu Diensten stehen möchten.

Was das konkret für jede*n einzelne*n von uns bedeutete, konnten wir dann im Folgenden erkunden. In Kontakt mit unserem Zukunftspotenzial und mit tief verinnerlichten Einsichten waren wir nun eingeladen, unsere Intention als unsere ganz eigene Lebenskraft zu identifizieren und zu benennen. Und diese dann im Tun zu erkunden.

Generative Intention Circles

In einer weiteren – von Christine entwickelten – Übung trafen wir zu viert zusammen. In vier Runden sollte jeweils einer von uns die eigene Intention formulieren. Die drei Zuhörenden hörten aus speziellen Perspektiven zu: als unterstützende*r Geburtshelfer*in, als Größte Hoffnung oder aus der Perspektive relevanter Stakeholder und als Poet*in. Die Erfahrung war für mich in allen vier Rollen sensationell. Als Erzählerin meiner Intention wurde ich mit drei Rückmeldungen beschenkt, die weit vom Standard entfernt waren. Die Rollen wurden jeweils so kreativ besetzt. Der Geburtshelfer unterstütze mich in der Formulierung dessen, was ich in die Welt bringen möchte. Die Größte Hoffnung sprach aus der Perspektive des entfalteten Potenzials. Die Rolle der Poetin sollte bildlich ausgelegt werden. So sprach mal ein Stift, der geführt werden wollte, mal eine uralte weise Schildkröte oder eine alte Eiche. Wir waren alle erstaunt, wieviel Kreativität durch dieses Spiel möglich wurde. In den drei Feedback-Rollen erlebte ich die Vielfalt der Perspektiven, die ich selbst im Stande einzunehmen war. So verschafften wir uns Zugang zu den unterschiedlichsten Einsichten. Auch hier erlebte ich wieder das Gefühl des „Anzapfens“ jederzeit verfügbarer und oft zu sehr untergehender Wissensquellen.

Von der Intention zum Prototypen

Nach dem Ernten der Einsichten ging es weiter mit dem Prototyping. Zuerst notierten wir die Prototypen-Ideen aus unserem Journaling Prozess und den Übungen danach. Nach einigen Kriterien sollten wir uns dann für einen Prototypen entscheiden: Kann die Idee schnell, einfach und mit minimalen oder wenig Kosten getestet werden? Wenn wir etwas aus der Idee lernen konnten, können wir das dann wiederholen, erweitern und ausbauen? Verändert die Idee etwas? Welche Bedürfnisse von Schlüsselpersonen werden adressiert? In einer Prototypen-Canvas konkretisierten wir für unseren Prototypen verschiedene Inhalte. Danach trafen wir uns wieder in Vierer-Gruppen, in denen jeweils jeder einmal fünf Minuten von seinem Prototypen erzählen konnte. In einer vorher bestimmten Art Feedback zu geben erhielt jeder Erzähler von drei Peers Rückmeldungen in Form von Wertschätzung, Fragen und Empfehlungen.

Ich erkannte im Social Prototyping ein eigenes Mindset. Der Prozess selbst ist entscheidend. Statt zu fragen, ob der Prototyp so brauchbar ist, stellen wir die Frage: „Was haben wir gelernt?“ Das ist schon mal ein entscheidender Unterschied zum Großteil meiner Erfahrungen in der Schule oder der Wirtschaft. Die allgegenwärtige Leistungsorientierung steht Lernen und Innovation oft im Weg. Ich musste mir wieder an die eigene Nase fassen. Was würde sich alles ändern, wenn ich nicht mehr nur das vorzeige, was sicher und fertig ist. Wenn ich stattdessen mehr das zeige, was ich (aus)probiere und wo ich eben noch nicht sicher bin, ob es (so) funktioniert. Welchen Unterschied macht es, mitten im Prozess beim Ausprobieren und Experimentieren Unterstützung einzuladen, immer mehr weitere Perspektiven und Ideen einbinden zu dürfen? Und welchen Unterschied würde dieses Mindset für Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft machen? Ich präsentierte in zwei Iterationen meinen Prototypen und die vielen Rückmeldungen waren für mich sehr fruchtbar und wertvoll.

Facilitators are constantly tending the soil, even if they don‘t know the seeds.

Von Martin schaue ich mir im Facilitation viele Dinge ab. Vor allem seine konsequente Entschleunigung bewirkte in mir das Gefühl, dass jeder Moment der Facilitation besonders kostbar ist. Das Spielen mit dem Zeitgefühl und das Herbeiholen der höchsten zukünftigen Möglichkeiten ins Jetzt und Hier machen den Einzel- und den Gruppenprozess intensiv und wirksam. Auch der mutige Umgang mit dem Prozess als solchen – ohne wirklich zu wissen, was am Ende dabei heraus kommt – zeigte mir Martin besonders eindrücklich.

Trust the process!

Die Arbeit ist ein radikales Willkommen-heißen von dem, was durchscheint – auf einer zutiefst menschlichen Ebene. So darf das Neue in die Welt kommen. Christine unterstützte uns im letzten Tag dabei, das Gelernte in unsere eigene Facilitation-Praxis umzusetzen.

Fazit

Ich darf wieder auf vier intensive Tage zurück blicken. Auch wenn ich bereits Presencing und Social Prototyping kannte und anwendete, bekam ich jetzt noch mal ein tieferes Verständnis auf der Erfahrungsebene. Ich bin dankbar ein paar Tage „on the shoulders of the giants“ mitgereist zu sein und halte diese Erfahrung in Ehren. Das Lernen und Arbeiten mit Kopf, Herz und Hand macht etwas mit mir als ganzen Menschen: als Frau, als Mutter, als Coach, als Facilitator.

Ich freue mich darauf, mit dieser Art der Arbeit noch zu vielen Innovationen in sozialen Systemen beizutragen und bin dankbar für die Stärkung und Unterstützung in meinem Cohort am Generative Facilitation Institute.

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Creating Organization – Wenn wir Leadership und Leben als einen kreativen Prozess erkennen. Ein Dialog mit R. David Cummins. https://tanjamisiak.de/dialog-mit-r-david-cummins Thu, 06 May 2021 09:07:58 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1381

David ist einfach ein interessanter Typ. Als Fiction-Autor lese ich in seinem Amazon-Autorenprofil: „Languages, stories, programming, creating, topics that have been part of Davids life since childhood.“ Als US-Amerikaner hat er ein Studium der Literatur in Göttingen begonnen und ist von dort aus gleich als Software-Entwickler in den Markt, lebt heute in der Wahlheimat Hamburg und wirkt in verschiedenen Rollen: als Mit-Geschäftsführer der Ministry Group, als Co-Initiator der Hacker School, als Fiction- und New Work-Autor, als Partner im Impeccable Leadership Team und als Initiator diverser ko-kreativer Formate wie die Coffee-Break oder die New Work Future Konferenz. Ich sehe in ihm vor allem einen zutiefst kreativen und inspirierten Menschen. Das open mind ist auch das, was mir zuerst auffällt, als ich ihn zu einem Dialog einlade. „Keine Ahnung, was auf mich zukommt, aber ich bin neugierig,“ sagt er.

Wir lernten uns im gemeinsamen Curriculum am Generative Facilitation Institute in Berlin kennen. Uns verbindet die Lust am experimentieren und erkunden von Zukunftspotenzialen in sozialen Systemen – sowie am schreiben. Irgendwann im Austausch kam die Idee einer gemeinsamen Veröffentlichung. Wir verabredeten uns zu einem Dialog, um noch tiefer zu erkunden, wie wir da zusammenkommen könnten. In diesem Beitrag reflektiere ich diesen Dialog. David und ich schicken ihn raus in die Welt und freuen uns auf Resonanzen, welche uns für gemeinsame Veröffentlichungen inspirieren könnten. Die „Creating Organization“ ist dabei ein gemeinsamer Startpunkt.

Was bedeutet für uns „creating“?

Das Wort „creating“ öffnet für mich per se schon alle Türen. David als Native Speaker nutzt es immer in englischer Form, auch wenn er deutsch redet. Doch wie übersetze ich das eigentlich? Erschaffend, erneuernd, erzeugend, anstiftend, anregend, erweckend, erstellend, entwerfend, produzierend, bildend… Ich schaute tatsächlich für dieses mir so vertraute englische Wort im Lexikon nach. Eine feine Note scheint mir in all den Übersetzungsvorschlägen zu fehlen. Ich vermisse das Wort „schöpferisch sein“ oder „schöpfen“ oder „aus dem Potenzial schöpfen“. Damit assoziiere ich vor allem das inspirierte Wirken, ein feines Zuhören der Zukunft, die durch uns in die Welt kommen möchte. Damit sind wir schnell im Feld der generativen Arbeit, deren Kern es ist, sich aus dem Potenzial oder aus der Zukunft heraus inspirieren zu lassen. Diese Art der Arbeit kann alles inspirieren. Das muss nicht explizit Leadership, Coaching oder Prozessbegleitung sein. Wir kommen hier zu einer bestimmten Art an innerer Verfassung, eines Zustands, in den ich mich auch beim Homeschooling mit meinem Erstklässler oder beim Blumen gießen hineinversetzen kann.

So hatte ich bisher mit dem Begriff „Creating Organization“ die Assoziation für ein soziales System mit einer kreativen/ generativen Grundhaltung: Die Menschen sind inspiriert und von innen motiviert. Sie wirken und arbeiten in Rahmenbedingungen und Prozessen, die sie darin unterstützen, kreativ sein zu können: schöpferisch, von Potenzialen inspiriert, verbunden und committed. Mit David tauchte ich noch tiefer in die Creating Organization ein.

Davids Hintergrund

David mit seinem bunten Hintergrund experimentiert schon seit Jahren im eigenen Unternehmen und bei Kunden mit Mindset-Arbeit, Modellen und Methoden rund ums „creating“. In diesem Prozess verfeinerte er seine „Landkarte“ einer Creating Organization.

Sein Menschenbild beruht auf der Theory Y nach Douglas McGregor. Danach ist der Mensch nicht unwillig und braucht Belohnung oder Bestrafung als Verhaltensverstärker (Theory X). Mit geeigneten Rahmenbedingungen strebt er in der Theory Y nach Selbstverwirklichung, übernimmt Verantwortung und entwickelt Eigeninitiative. Außerdem studiert David seit Jahren das Systems Thinking (z.B. Peter Senge), den Flow nach Mihaly Csikszentmihalyi, das Growth Mindset (z.B. Carol Dweck) und diverse Schulen für Persönlichkeitsentwicklung (z.B. Robert Fritz, Gerald Hüther). Als Geschäftsführer eines Software Unternehmens hat er natürlich die agilen Herangehensweisen mit Scrum und Co verinnerlicht.

Der kreative Spannungsbogen

Nach David produziert die Creating Organization stetig Wert. Diesen Wert aktualisiert und erneuert sie laufend. Sie erfindet sich dabei immer wieder neu und schafft nicht nur Wert für Kunden und Mitarbeiter, sondern auch für die Gesellschaft und die Welt. Sie richtet sich nach einer „Shared Vision“ aus. Dieser Begriff drückt für mich den tiefen Respekt vor dem Individuum aus. Jeder Mensch hat seine eigene Essenz und eine eigene Vision. Diese kann nicht auf andere übertragen werden. Wohl aber kann sie geteilt werden. So versammeln sich in einer Organisation die Menschen, die ihre eigene Vision gut mit der Organisationsvision verbinden können.
Die Shared Vision ist eine Intention, eine Ausrichtung. Die Organisation befindet sich (noch) woanders. Nach David ist es eine große Aufgabe zu erkennen, wo die Organisation steht. Also wo sie wirklich wirklich steht. So kann sie vielleicht behaupten und sogar glauben, dass sie einen gesellschaftlich sinnvollen Unternehmenszweck verfolgt. Doch das Verhalten der einzelnen Akteure zeigt etwas anderes, z.B. Gewinnmaximierung und Konkurrenzdenken. So ist das Beobachten dessen, was da ist und wirkt, eine anspruchsvolle Aufgabe. Diese wird jedoch belohnt. Denn die Organisation, die weiß wo sie steht und wo nicht, kann besser erkennen, was jeweils der nächste Schritt ist. Übrigens ist diese Art der Arbeit individuell auch gut möglich. Der wesentliche Vorteil dieser Arbeit in der Gruppe besteht jedoch aus den vielen verschiedenen Perspektiven der Individuen im System, die zusammen gebracht ein umfassenderes und wahrhaftigeres Bild der Realität entwerfen können.
Zwischen der Shared Vision und der geteilten Wahrnehmung der Realität entsteht dann der kreative Spannungsbogen. Dieser ist eben kein fester Meilensteinplan, sondern eher wie eine Kraft und Inspirationsquelle für die jeweils nächsten sinnvollen Schritte.

Ich konnte im Dialog sehr spürbar erleben, wie sehr David die Arbeit mit dem kreativen Spannungsbogen verinnerlicht hat. Seine Landkarte ist umfassend und immer noch Work in Progress. Er zögerte auch nicht zu teilen, wo er auch wie schon gescheitert war. Er kennt die wirtschaftlichen Herausforderungen auch ohne Corona-Krise und hat den Respekt vor Transformationsprozessen erlebbar verinnerlicht. Das macht ihn für mich sehr nahbar und authentisch.

Zeitverständnis im Spannungsbogen

Ich ließ das Gesagte wirken. Dabei reflektierte ich meine eigenen Erfahrungen mit Visionsarbeit – meiner eigenen und mit Kunden im Coaching. Für mich ist es essenziell erlebbar zu machen, dass die Vision nicht irgendwo in der Zukunft ist und wir uns heute hier weit weg davon vor einem langen Weg befinden. Das ist zu linear gedacht. Die Vision existiert schon jetzt in Form von Zukunftspotenzial. Dabei ist die Arbeit mit Emotionen grundlegend. Eine Vision gewinnt dann an Zugkraft, wenn ich weiß, wie ich mich fühlen will. Diese Gefühle kenne ich schon heute, hier und jetzt. Ich kann sie in mir aktivieren und mich jetzt im Moment gefühlsmäßig in den Zustand bringen, den ich mir für meine Vision vorstelle. Damit kann ich meine Ausführung vom Anfang des Beitrags aufgreifen. „Creating“ ist dann mehr ein innerer Zustand als eine Theorie oder ein Tool. In diesem Zustand lebe ich bereits jetzt generativ, kreativ, creating. Ich lebe meine Vision schon heute, im kreativen Spannungsbogen. Die Ergebnisse meines Wirkens verändern sich, wenn ich mich aktiv mit dieser inneren kreativen Verfassung und dem Spannungsbogen befasse. So sehe ich in der ganzen Arbeit von David eine praktische „Anleitung“, wie diese Art der inneren Arbeit noch feiner und wertschöpfender in das Leadership und die Organisationsentwicklung eingewebt werden kann.

Wir sind so viel mehr

Ein Moment im Dialog bleibt mir noch sehr lebhaft in Erinnerung. Als ich David fragte, was denn durch ihn und seine Arbeit in die Welt kommen möchte, lächelte er wissend und geheimnisvoll. Seine Augen strahlten. „Wir sind so viel mehr,“ sagte er. Der Satz kam für mich mit einer sanften Wucht. Ich bekam eine Ahnung von Davids Grundannahme für den Menschen und unsere Welt. Ich war dankbar für unseren Dialog und wünschte David aus vollem Herzen, dass er mit seinem Wirken genau das in die Organisationen bringt. Was ist dann alles möglich?

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Dagegen! – Wie wir Blockaden und Widerstände kreativ nutzen können. Reflexion meiner Lernreisenetappe mit Frits Wilmsen. https://tanjamisiak.de/dagegen-wie-wir-blockaden-und-widerstaende-kreativ-nutzen-koennen Thu, 29 Apr 2021 09:54:05 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1363

Das Fehlen von Mitgefühl ist die Ursache der meisten globalen Probleme. (Tania Singer)

Vor allem die Wirtschaft funktioniert noch nach einem veralteten neoklassizistischen Weltbild, in dem der Mensch auf rationale Motive reduziert wird. Das ist mit Blick auf die modernen Forschungen der sozialen Neurowissenschaften total veraltet und sogar gefährlich. Trends wie Vereinsamung, Depression und Narzissmus auf individueller Ebene sowie Klimakrise und diverse andere benannte und unbenannte Krisen auf kollektiver Ebene sind die Folge.

Zum perfekten Zeitpunkt durfte ich im Rahmen meiner Lernreise am Generative Facilitation Institute Berlin diese Erkenntnisse mit Frits Wilmsen vertiefen. Er ist seit Jahrzehnten ein Leadership-Experte und zeigt auf eine sehr anfassbare und praktische Weise, wie Leadership, Team- und Organisationsentwicklung auch anders gehen: Tief, mitfühlend, verbunden und offensichtlich auch in einem anderen Wirtschaftsparadigma.

Das Hauptthema unseres Moduls war der Umgang mit Widerständen und Blockaden in Innovations- und Transformationsprozessen. Dabei mussten wir uns gleich an die eigene Nase fassen.

Grenzgebiete erleben

Erleben durften wir Frits mutige Herangehensweise ab der ersten Minute. Wir fingen unsere gemeinsamen zwei vollen Tage mit einem intensiven Check-in an. Dabei war klar, dass sich Frits nicht auf die Daten und Fakten unserer bisherigen Karrieren fokussierte. Er wollte ein Gefühl für uns bekommen – uns fühlen. Wo wollen wir hin und was brauchen wir dafür? Was hält uns auf? So lernte er uns kennen. Bei allen weiteren Formaten des Moduls konnte er entsprechend auf uns eingehen.

Der Check-in war eine Achterbahnfahrt für alle Beteiligten. Es flossen gleich mal Tränen, es gab Wut und Widerstände gegen die vermeintliche „Gruppentherapie“. Auch Inspiration und Höhenflüge waren geboten. War das nicht zu gewagt, grenzüberschreitend und wie gehörte das zum Kontext für Facilitator und Führungskräfte?

Jenseits der Inhalte

Die Stimmung nach dieser Session nahm ich ganz andächtig wahr. Der Raum war offen, voller Wertschätzung und Wohlwollen füreinander. Wir sahen uns in der Ganzheit des Unperfekten als etwas Werdendes. Hier ging es nicht um Taktiken, ums Profilieren oder Präsentieren. Ich wusste, dass Frits mich sieht und mich da unterstützen wird, wo ich bin. Auch die anderen mir schon bekannten Teilnehmenden nahm ich wieder etwas tiefer wahr, gefühlt verbundener. Ich spürte ein „gemeinsam sind wir stark“, ein füreinander und miteinander, ein Sehen und gesehen werden.

Raum halten

Was uns Frits hier ganz praktisch vorzeigte war das Halten des Raumes für die äußere UND innere Dimension. Ich nehme an, dass er sich schon vorab mit seiner inneren Verfassung gut auf unser Treffen eingestellt hat. Er war durchgehend stabil in seiner bedingungslosen Liebe zum Menschen – in dem Fall zu uns. Er konnte zuhören und das aufgreifen, was sich eben zeigte. Dabei ging es nicht um Harmonie nach dem Motto „Wir haben uns alle lieb“. Es gab ja Widerstände und Wutanfälle, Traurigkeit und Frust. Schwierige Zustände, die sonst kaum Platz im Business-Kontext bekommen, konnte Frits aufgreifen, umformen und weiterentwickeln.

Ich kenne dieses bedingungslose Halten des Raums aus dem Einzelcoaching. Mir hat hier vor allem das Erlernen der Internal Family Systems Therapy (IFS Therapy) nach Richard Schwartz geholfen. Auch die Gesprächstherapie nach Carl Rogers verbinde ich damit. Für Frits war wohl die Gestalttherapie, die integrale Philosophie nach Ken Wilber und das Generative Coaching von Robert Dilts und Stephen Gilligan prägend.

Diese individuelle transformative Arbeit hebt Frits auf eine kollektive Ebene. Er integriert sie geschickt und irgendwie ganz natürlich anmutend in die Gruppe, verbindet sie mit Facilitation und Leadership. Er führt so schon seit Jahren Organisationen durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformation.

Umgang mit Widerständen

Die angesprochenen Widerstände geben nicht immer, aber schon oft gute Hinweise für Transformationspotenziale – individuell wie kollektiv. Der Weg in eine neue Realität führt nicht am Zynismus, Widerstand, Frust und Wut, an den Fixierungen und Vermeidungen vorbei, sondern möglicherweise genau durch sie hindurch. Mit Frits‘ Transformational Process Model übten wir, das Implizite explizit zu machen und (schwelende) Konflikte im Raum zu halten und zu ent-wickeln.

Die Wurzel gesellschaftlicher Fragmentierung

Ich erinnerte mich vor allem an meine aktive Zeit in Konzernprojekten. Bestimmte Fragen habe ich vermieden, wie z.B. „Wie geht‘s Dir wirklich damit?“, „Was vermeidest Du?“, „Was brauchst Du jetzt?“, „Was brauchst Du, um motiviert zu sein?“, „Was willst Du nicht mehr?“. Zu oft empfand ich Ergebnisdruck, meinte keine Zeit zu haben für Soft Stuff, spielte implizites Konfliktpotenzial herunter. Wahrscheinlich wäre ich damals auch noch nicht in der Lage gewesen den Raum für die Antworten zu halten – nicht zuletzt umfasste damals mein Auftrag noch nicht die explizite Reflexion des Prozesses.

An diesem Punkt entsteht in mir ein Mitfühlen mit all den Menschen in Politik und Unternehmen, denen es genau so geht. Statt sich Konflikte und schwierige Stimmungen anzuschauen, suchen wir im business-as-usual nach Lösungen auf der Inhaltsebene und grenzen uns im Zweifel von Menschen ab, „die es halt einfach nicht verstanden haben“. So schreiben wir die Vergangenheit auch dort weiter fort, wo es unbedingt neue Wege braucht – im Kleinen wie im Großen. Ich schließe mich nicht aus, ich vermeide selbst immer wieder gerne, weil es kurzfristig einfacher ist, der Ergebnisdruck groß ist oder ich die Antworten ohne Mandat nicht halten kann. Doch so trage ich selbst zu der Fragmentierung bei und diskutiere mich selbst weiter in die Enge. Ich brauche als Externe ein Mandat für diese Art der Arbeit. So muss ich das konsequent mit in die Auftragsklärungsgespräche nehmen.

Entwicklung von reaktiven zu generativen Systemen ermöglichen

Frits führte uns vor, wie wir in Veränderungsprozessen die innere Dimension so integrieren, dass wir auf eine neue und andere Ebene der Zusammenarbeit gelangen. Frits entwickelte dafür ein hilfreiches Modell und differenzierte verschiedene Rollen, für die schon bei der Auftragsklärung entsprechende Mandate geklärt werden sollten. Dabei kann natürlich eine Person mehrere Rollen übernehmen.

Das Impeccable Leadership Modell

Ein Team oder eine Organisation, welche/s auf der Inhaltsebene ist, befindet sich in Frits‘ Impeccable Leadership Modell auf der ersten Entwicklungsstufe. Der „Guide“ kümmert sich um die organisatorischen Rahmenbedingungen und der „Expert“ um inhaltliche Grundlagen, Recherchen und Argumente. Diese Arbeit ist wichtig, in unserer heutigen Zeit jedoch nicht ausreichend. Wenn es komplex und schnelllebig wird, dann reagiert das Team nur inhaltlich mit noch mehr Planung, noch mehr Absicherung und noch mehr Argumenten. Das alleine hilft leider nur nicht mehr weiter. Das Team muss sich über das Ko-existieren und vorsichtig-höfliche Absprechen hinaus entwickeln.

Connection

Hier kommt die Rolle des „Coach“ ins Spiel und bringt die innere Dimension ein. Sie/ Er beobachtet von einer anderen Ebene, mitfühlend, empathisch. Sie/er spürt vielleicht Stress, Hektik, Angst und greift Implizite Ressourcen auf: Ideen, Hoffnungen, Motivationen. Diese impliziten Kräfte kann er in der Zusammenarbeit explizit machen. Auf dieser Basis kann die Rolle „Negotiator“ das Wissen und die Weisheit im System anzapfen, verschiedene Perspektiven und Interessen integrieren und aus einem „Entweder-oder“ ein „Sowohl-als auch-und noch viel mehr“ machen. Diskussion wird Dialog. Partizipation und Identifikation mit dem Prozess gehen in ein Commitment über: das sind wir und dafür stehen wir!

Commitment

Mit diesem Commitment sind die Teammitglieder/innen bereit sich auf Neues einzulassen. Sie teilen eine gemeinsame Ambition und folgen einer geteilten Intention. Sie sind bereit sich gegenseitig zu unterstützen. Interessanterweise bietet hier die englische Sprache mehr: lifting each other up oder empowerment. Das Ganze wird mehr als die Summe der einzelnen Teile. Die Haltung beruht mehr auf dem „Wir“ als auf dem „Ich“.

Das Modell zeigt mir anschaulich, wo in meiner Wahrnehmung zu viele Teams feststecken. Was wäre alles möglich, wenn der Großteil an Menschen nicht mehr in reaktiven Arbeitsumfeldern festhängen würde? Was wäre in der Wirtschaft möglich? Und vor allem angesichts der Corona-Krise – was wäre erst in der Politik möglich?

Während der Zeit mit Frits dämmert mir ein noch tieferes Verständnis von Transformation in sozialen Systemen. Wenn ich implizites Wissen explizit mache, steht mir ein ganzes Universum an neuen Möglichkeiten zur Verfügung.

Fazit

„Zwei Menschen, die sich hassen, werden gemeinsam zu einer einsamen Insel gebracht. Gibt es dann nach einer Weile die Garantie, dass sich diese beiden Menschen kennen- und lieben lernen? Erkennen Sie, dass sie gemeinsam stärker sind und lernen Sie sich zu verstehen und aufeinander einzugehen?“

Ein Zuhörer fragte das Tania Singer nach deren Präsentation ihrer Forschungsergebnisse zum sozialen Gehirn. Singers Antwort war klar: Nein, dafür gibt es keine Garantie. Nur, wenn eine dritte Person dabei ist und den Prozess mit einem entsprechenden Mandat facilitiert.

Diese Anekdote greife ich hier auf, um meine Gedanken zum Abschluss des Beitrags zusammenzufassen. Unsere aktuelle Zeit der Bubbles und der „Social Dilemmata“ macht meines Erachtens das Bauen von Brücken umso notwendiger. Dafür braucht es Menschen mit entsprechenden Mandaten. Ohne die gibt es keine Garantie, dass die Transformation gelingt.

Persönlich möchte ich noch mehr dort hinschauen, was ich eigentlich lieber vermeide. Ich möchte als Facilitator einen Beitrag dazu leisten unsere gesellschaftlichen Fragmente mehr zusammenzubringen. Ich möchte Brücken bauen zwischen Welten, die bisher nur übereinander und nicht wirklich miteinander sprechen. Denn in diesem Raum der Reibung, Ungewissheit, Verletzlichkeit und Unstabilität sehe ich großes Transformationspotenzial.

Emotions and feelings play a critical role in influencing the quality of our interactions and decision-making. They can cloud our judgment and cause us to react out of a survival instinct. Feelings can also be a golden resource for enhancing the quality of our cooperation and our decisions. Being aware of the feelings and emotions of your team members and yourself and effectively dealing with them gives you critical leverage for navigating crises successfully. (Frits WIlmsen)

Weiterführende Infos

Impeccable Leadership Website

Artikel auf medium.com: Navigating crisis with impeccable leadership

Impeccable Leadership Program im Dezember in Berlin

Das Buch „Impeccable Leadership“ wird aktuell ins Deutsche und Englische übersetzt

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Wie wir unser soziales Gehirn trainieren können und warum das für Bildung und Wirtschaft so wichtig ist. https://tanjamisiak.de/soziales-gehirn https://tanjamisiak.de/soziales-gehirn#comments Thu, 08 Apr 2021 09:13:18 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1328

Die Forschung der Professorin für Soziale Neurowissenschaften Tania Singer lässt mich in vielerlei Hinsicht nicht mehr los. In diesem Artikel verarbeite ich einige Erkenntnisse, die mich mitten in meinem beruflichen und privaten Alltag treffen. Beruflich als Begleiterin von Veränderungsprozessen im Wirtschaftskontext und privat als Mutter von 3 kleinen Kindern, für die wir Schulen suchen, die sich vor allem auf Zukunftskompetenzen ausrichten. So werde ich in diesem Artikel genau das verarbeiten: worum geht es in den sozialen Neurowissenschaften, welche Schlüsse leite ich für unser Wirtschaftsleben ab und welche Wünsche habe ich für die Bildung von Erwachsenen und Kindern?

Intro: Was ist das soziale Gehirn?

Singer erforscht das soziale Gehirn, d.h. alle Netzwerke im Gehirn, die soziale Fähigkeiten erlauben. Sie stellt wissenschaftlich dar, dass und wie wir Skills wie Empathie, Mitgefühl und kognitive Perspektivübernahme erlernen können.

Zu Anfang hat sich Tania Singer gefragt, wie eigentlich soziale Transformation geschehen kann. Natürlich gibt es in den äußeren Dimensionen (siehe AQAL-Modell) viel zu tun, wie z.B. eine kluge Gesetzgebung und sinnvolles institutionelles Design. Doch Tania Singer betont die innere Dimension. Um verantwortungsvolle Weltbürger zu werden und weitsichtige inklusive Entscheidungen treffen zu können, brauchen wir eine fühlbare Verbindung zueinander und mit der Welt. Das ist ein großer Unterschied zum reinen Wissen um unsere Verantwortung, die wir ohne fühlbare Verbindung auch einfach ignorieren (können).

Mentales Training und Bildung sind hier die Tools.

Singer arbeitet interdisziplinär und vernetzt. Sie erforscht die Kultivierung von sozialen Kompetenzen, Gemeinschaft, globaler Kooperation, Interdependenz/ Nachhaltigkeit, mentaler Gesundheit/ Wohlbefinden sowie Stressreduktion und die Stärkung unseres Immunsystems mithilfe von mentalem Training und Bildung. Singer zeigt die Plastizität (Trainierbarkeit) unseres sozialen Gehirns eindrücklich auf.

Vor dem Hintergrund des Anstiegs an krisenhaften Zeiten, gesellschaftlicher Fragmentierung und Trennung von der Natur sind die oben genannten inneren Kompetenzen wichtig für die Transformation der Gesellschaft. Singer spricht sogar von einer kulturellen Pandemie, die einen Schwerpunkt auf die äußeren Dimensionen setzt und die andere Hälfte übersieht. Sie sagt auf Ihrer Website:

Die Abwesenheit von Mitgefühl ist die Ursache für die meisten unserer derzeitigen globalen Probleme.

Forschung zum sozialen Gehirn

Soziale Neurowissenschaften sind multidisziplinär. Wir Menschen als soziale Wesen werden in der Forschung mit verschiedenen Instrumenten bemessen: Qualitative Interviews und Beobachtungen versuchen bspw. die subjektive Wahrnehmungen, Gesundheit, Kooperativität und kommunikative Muster zu erfassen. Gehirnscans visualisieren Veränderungen der grauen Substanz im Gehirn und belegen die Trainierbarkeit. Messungen des Hormonhaushalts, vor allem des Stresssystems, geben Aussagen über Gefühlszustände und Hinweise zu regenerativen oder ungesunden Verfassungen.

Schwerpunkt Singers Arbeit der letzten Jahre war das ReSource-Programm. Das war eine interdisziplinäre Langzeitstudie mit 300 Probanden. Neben der Kontrollgruppe sind die Teilnehmenden drei dreimonatige Blöcke mit folgenden Schwerpunkten durchgelaufen:

Aufmerksamkeit/ Achtsamkeit:

Hier ging es um die Fähigkeit den eigenen Geist zu fokussieren, sich selbst differenzierter wahrzunehmen und Präsenz zu halten.

Empathie/ Mitgefühl:

Empathie ist hier die Fähigkeit mit dem Gefühlszustand einer anderen Person mitzuschwingen. Singer betont hier einen großen Unterschied zu Mitgefühl, mit dem ich innerlich mit einer intentionalen liebevollen Güte antworte. Während die Menschen im Mitgefühl Hirnareale für Liebe und Regeneration aktivieren, kann Empathie zum Ausbrennen führen. Hirnareale der Empathie unterscheiden sich von denen des Mitgefühls. Beides ist in gesunder Form wichtig.

Kognitive Perspektivübernahme:

Diese aktiviert wiederum andere Netzwerke im Gehirn. Sie befähigt dazu sich gedanklich differenziert in die Position des Gegenübers hineinzuversetzen. Je heterogener unsere Welt, desto wichtiger ist diese Fähigkeit. Sie versetzt mich in die Lage die Glaubenssysteme und Gedanken des anderen besser nachvollziehen zu können. Auf englisch gibt es dafür den prägnanten Begriff „Theory of mind“.

Vernetzung dieser Skills

Beispiele machen deutlich, wie wichtig die Verbindungen der jeweiligen Fähigkeiten sind und dass es sich lohnt, alle drei Fähigkeitsfelder mit zielgerichteten Übungen zu stärken.
So können Psychopathen sehr gut in kognitiver Perspektivübernahme sein, allerdings fühlen sie nichts und spüren weder Empathie noch Mitgefühl. So können sie gut und ohne schlechtes Gewissen manipulieren. Ein anderes Beispiel ist MBSR (Mindfulness Based Stress Reduction). Das Programm arbeitet viel mit Achtsamkeitsübungen, ist allerdings gegen sozialen Stress nicht die effektivste Form des Trainings. Der Umgang mit Beziehungen und Begegnungen ist vor allem mit Empathie und Mitgefühl trainierbar, die sich nachweislich sehr positiv auf die Reduzierung von sozialem Stress auswirken.

Jeder dieser drei Schwerpunkte bringt unterschiedliche Übungen mit sich. So wurden bspw. Aufmerksamkeit und Achtsamkeit mit Atemübungen und Body Scan geübt. Empathie und Mitgefühl wurden vor allem mit Partnerübungen trainiert, den Dyaden. Ich bin sehr beeindruckt von diesem klar differenzierten Trainingsplan und den sichtbaren Ergebnissen in den Hinstrukturen und Gefühlszustände der Probanden nach einigen Wochen der regelmäßigen Praxis.

Wenn wir nun wissenschaftlich fundierte Studien haben, was hindert das Bildungsministerium daran, mentales Training als Schulfach anzubieten? Warum ist mentales Training noch nicht in der Mitte der Wirtschaft angekommen? Was hindert unser Gesundheitssystem daran, an diesem Hebel deutlich hochzudrehen?

Mit einer regelmäßigen Praxis von 10 Minuten täglich lassen sich nicht nur wochenlange Ausfälle verhindern und viele Gelder für Pillen und therapeutische Behandlungen sparen. Die gesellschaftliche Transformation wäre deutlich realistischer und langfristig wären wir und unsere Welt gesünder.

Soziale Neurowissenschaften und die Wirtschaft

Die sozialen Neurowissenschaften sind für die Ökonomie sehr bereichernd. Singer versteht sich hier als Brückenbauerin. Im Kern unseres Wirtschaftssystems geht es um Kooperation zwischen Individuen. Wie treten wir in Beziehung? Als Nutzen maximierende Objekte oder als fühlende Menschen? Das Menschenbild, das hinter den neoklassizistischen Modellen steht, ist nach Singer total veraltet (Homo oeconomicus). Es hat mit der modernen Psychologie und den Neurowissenschaften nichts mehr zu tun. Interessanterweise lernt die Ökonomie Begriffe wie Empathie, Mitgefühl oder Perspektivübernahme gerade erst kennen. Leistung, Macht, das Höher, Schneller und Weiter haben immer noch höhere Prioritäten in Entscheidungsprozessen. Doch was macht das mit uns?

Wir brauchen Weltbürger, die ihre Verantwortung nicht nur denken, sondern auch fühlen können.
Hier liegen wir Menschen weit unter unserem Potenzial. Der Trend geht eher Richtung Vereinsamung, Depression und Narzissmus. So genannte „Soft Skills“ werden vor allem in Deutschland unterbewertet. Dabei sind diese Skills aus der Sicht der Hirnforschung nicht „weicher“ oder „härter“ als technisches Know-how, Handwerk, die Mathematik oder sämtliche andere Skills, die wir erlernen können.
Die Hirnforschung zeigt, dass wir unsere inneren Instrumente wie Empathie, Mitgefühl oder die Fähigkeit zum kognitiven Perspektivwechsel trainieren können wie Muskeln im Fitnessstudio.
Wir können auch als Erwachsene lernen mit Ungewissheit, Agilität, schwierigen Emotionen und Überforderung umzugehen. Wir können den crosskulturellen Dialog und kooperatives Denken, Fühlen und Handeln lernen. Wir haben da viel nachzuholen, wenn wir die Probleme unserer aktuellen Zeit als verantwortliche Weltbürger angehen möchten.

Mentales Training für Erwachsene

Tania Singer formuliert es ganz spitz: Für sie sind diese ursprünglichen „Soft Skills“ sogar Survival Skills. Ohne diese Skills kommen wir in unserer heutigen Zeit nicht mehr klar. Sie sagt sehr deutlich, dass sich die Medien in der Corona-Krise um Zahlen zu Inzidenzen, Neuinfektionen und infektionsbedingten Todesfällen drehen. Zahlen zu Vereinsamung, Depressionen, Angststörungen und weiteren psychischen Schwierigkeiten werden nicht kommuniziert und zu wenig in Entscheidungen einbezogen. Das ist repräsentativ zu allen möglichen Krisen unserer heutigen Zeit. Um nachhaltigere Entscheidungen treffen zu können, müssen wir unseren Blick um die inneren Dimensionen erweitern.

Trainingsmöglichkeiten gibt es, die Übungen sind bekannt, fähige Coaches stehen in den Startlöchern. Können wir starten?

Mentales Training in Schulen

Schule und Bildung beschäftigt mich vor allem wegen meiner Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter. Wie viele Eltern arbeite ich für die Wirtschaft und sehe zu wenig Bezug zwischen dem, was gebraucht wird und dem, was meine Kinder im Schulsystem lernen. Sehr zuversichtlich machte mich der kürzliche Online-Kongress der Pioneers of Education, wo Tania Singer auch mit am Start war.

Mir war nicht bewusst, dass die UNESCO bereits 1996 einen Weltaktionsplan für die Zukunft der Bildung entwarf. Zwei der vier Säulen nehmen die innere Dimension ganz explizit:

– Zusammenleben lernen, d.h. voneinander, miteinander

– Lernen zu sein, d.h. wer bin ich eigentlich, wofür bin ich da und was braucht die Welt von mir?

Die anderen beiden Säulen nehmen die Fähigkeiten des sozialen Gehirns implizit und damit immer noch deutlicher auf als die heutige Realität der staatlichen Schulen.

– Lernen Wissen zu erwerben, d.h. nicht auswendig lernen

– Lernen zu handeln, d.h. Ideen umzusetzen, Projekte durchzuführen

Der Aktionsplan ist 25 Jahre alt und ich merke wenig Effekt bei meinen Kindern und wie sie auf die Zukunft und die Transformation unserer Wirtschaft vorbereitet werden. Beim vierten Sustainable Development Goal (SDG) sehe ich die „Gefahr“, dass auch hier die inneren Dimensionen zu kurz kommen.

Die Gesprächspartnerin von Tania Singer, Margret Rasfeld von Schule im Aufbruch, plädiert dafür das Leben mit dem Lernen viel mehr zu verbinden. Für sie ist die Bildungslandschaft stark vernetzt mit vielen Lernorten und vielen Akteuren aus der Wirtschaft, Politik, Zivilgesellschaft – einfach mitten im Leben. Kinder sollen nicht mehr verzweckt und zu Leistungsproduzenten erzogen werden. Die Lernprozesse unserer zukünftigen Generationen gehen uns alle etwas an, dafür tragen wir alle ein Stück Verantwortung.

Tania Singer fragte sich, warum mentales Training nicht schon lange zum Pflichtprogramm in Schulen und Bildungseinrichtungen für Erwachsene gehört. Aus ihrer Sicht ist mentale Gesundheit wichtiger als alles andere semantische Wissen, dass jeder nachschlagen kann. Mit einem regelmäßigen Training würde uns vieles leichter fallen: Emotionen erkennen und benennen, Selbstmitgefühl entfalten, wie kann ich mich beruhigen, wie kann ich den anderen besser verstehen, etc. Wenn jemand aggressiv, aufgewühlt, depressiv oder traurig ist, dann geht auch kein Lernen und keine Potenzialentfaltung. Mentale Skills befähigen uns dazu uns zu regulieren. Diese mentalen Skills können wir ein Leben lang gut gebrauchen. Das ganze Material ist bereit, es muss noch nicht mal neu erfunden werden. In Deutschland sind wir da teilweise weit hinter anderen Ländern zurück. Diese innere Arbeit als Esoterik abzustempeln ist offensichtlich nicht mehr zeitgemäß.

Fazit

Es gibt viel zu tun. Die inneren Dimensionen müssen in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen angemessenen Raum bekommen. Das hat Singer eindrücklich erforscht und aufgezeigt. Was wäre wenn wir bereits in Schulen unser soziales Gehirn ausbilden könnten und wir uns achtsamer, mitfühlender und gefühlt verantwortungsvoller füreinander einsetzen würden? Wenn wir Erwachsenen flächendeckend den Zugang zu Trainings des sozialen Gehirns bereit stellen würden? Wie viele Kriege wären dann obsolet? Wie viele Krisen würden wir anders angehen?

Ich freue mich über Rückmeldungen zu Initiativen, die dieses Know-how noch besser in Wirtschaft und Bildung verankern. Sehr gerne stelle ich mich als Begleiterin von Veränderungsprozessen und mit meinem Know-how zu den inneren Dimensionen zur Verfügung. Die Perspektive einer sozial intelligenteren und mitfühlenderen Gesellschaft inspiriert und motiviert mich sehr.

Weitergehende Infos

Tanja Singer: Die Neurobiologie von Empathie und Mitgefühl

Podcast tabula rasa – Tania Singer: Kann man Menschen Mitgefühl beibringen?

Pioneers of Education

Danke an Barbara Schneider für das Visual Recording der Session mit den Pioneers of Education.

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Wie entscheidet was – Über meine Buchidee zur inneren Arbeit im professionellen Kontext. https://tanjamisiak.de/wie-entscheidet-was https://tanjamisiak.de/wie-entscheidet-was#comments Thu, 25 Feb 2021 15:01:42 +0000 https://tanjamisiak.de/?p=1312

Ich weiß noch nicht, was ich genau schreiben werde, aber ich weiß wie ich es schreiben möchte.

Das erzählte ich meiner Circle-Partnerin und auch Buchautorin Anke von Platen bei einem gemeinsamen Telefon-Spaziergang zwischen München und Hannover. Für mich klang das erst mal nach Nonsense, während dieser Satz aus mir heraus sprudelte. Macht das Sinn mit einem Buch anzufangen ohne genau einen Plan zu haben was drinnen stehen wird?

Doch je mehr ich den Satz wirken ließ, desto mehr beeindruckte er mich.

Das „Wie“ beantwortet mir die Frage nach meinem inneren Zustand, in dem ich das Buch schreiben möchte. Bin ich offen, neugierig und verbunden mit dem, was ich arbeite und schreibe? Bin ich wirklich wirklich mutig genug neue Wege zu gehen? Achte ich wirklich gut auf meine innere Verfassung, mit der ich Dinge angehe? Oder arbeite ich vor allem nur ab? Und ist das nicht sogar das grundsätzliche Thema, welches ich für völlig unterschätzt in den vielen Entwicklungen neuer Formen der Zusammenarbeit halte? Und genau darüber – bzw. daraus – soll das Buch entstehen.

Über die bewusste Einstellung der inneren Instrumente Neugierde, Mitgefühl und Mut hatte ich bereits in einem anderen Blogartikel geschrieben. Auch die Arbeit mit der inneren Verfassung, mit inneren Öffnungs- und Schließungsprozessen und das bewusste Herbeiführen und Einsetzen eines kreativen Zustands hatte ich beschrieben. Diese Themen finde ich gerade in diesen krisenhaften Zeiten so wichtig und aktuell. Innere Ressourcen sind niemals von künstlicher Intelligenz übernehmbar. Und gerade diese entscheiden in einem so hohen Maße über Ergebnisse und positive unternehmerische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Wie ist klar, was noch nicht.

Zum ersten Mal formulierte ich meine Buchidee auf diese Weise. Obwohl ich blogge und den ein oder anderen Schreib- und Textauftrag ausübe, zögerte ich mit dem Buch bisher noch. Das Gespräch mit Anke löste in mir den Knoten. Ich muss ja noch gar nicht wissen, was im Buch drin steht. Macht ja auch keinen Sinn, wenn ich mich sonst auch mit der Frage beschäftige: „Wie kommt das Neue in die Welt?“

Ich möchte die/ den Leser:in auf eine gemeinsame Erkundungsreise einladen. Die ursprüngliche Frage von New Work Gründungsvater Frithjof Bergmann war: „Wie will ich wirklich wirklich leben und arbeiten?“

Doch sind die Antworten des Arbeitsalltags oft welche auf andere Fragen, zumeist technisch, mechanistisch und mittelfristig ersetzbar: Welche Tools nutzen wir? Was analysieren wir dafür? Welches Verhalten brauchen wir? Welche Prozesse und Organisationsformen? Die vier Quadranten von Ken Wilber hatte ich ebenfalls bereits an anderer Stelle beschrieben. Deutlich wird mir vor allem, dass es in Unternehmen und sogar privat meist darum geht, darüber nachzudenken und von außen zu analysieren. Die beiden Quadranten der inneren Dimension ziehen den kürzeren, was aus meiner Sicht der Grund für viele misslungene Veränderungs- und Innovationsprozesse ist. Es geht um mehr als planen, funktionieren und abarbeiten.

So rückt für mich das „Wie“ immer weiter in den Vordergrund. Wenn ich im Coaching hin zum Wie und zum inneren Zustand führe, kommen Dinge in Bewegung. Wie willst Du Dich (mehr) fühlen? Wie soll es Dir gehen? Was gibt Dir Energie und Kraft? Wie willst Du Dich beim arbeiten fühlen? Welche Wirkung hast Du in dieser Verfassung auf Deine Kolleg:innen? Welche Arbeitsergebnisse erzielst Du, wenn Du „so“ arbeitest? Wie erinnerst Du Dich an Deinen neuen „Default-Zustand“, wenn es holprig wird? Welche Hirnchemie möchtest Du kultivieren?

Die eigentliche Arbeit findet vor dem Meeting statt,

reflektierte meine Trainerin Christine Wank vom Generative Facilitation Institute. Die Arbeit mit der eigenen inneren Verfassung, das Setzen einer Intention, eine klare Ausrichtung und ein inneres Öffnen wollen gelernt sein.

Für mich ist dieses Feld der Arbeit mit der eigenen inneren Verfassung ein echter Augenöffner. Alles scheint sich zu verändern, wenn ich meinen inneren Zustand verändere. Vor allem das, was am Ende aus dem Prozess/ Coaching/ Meeting/ Workshop/ Buchprojekt (!) entsteht.

Wenn der Kopf so oft mit dem „Was“ überfordert ist, dann lohnt es sich weitere Ressourcen hinzuziehen. In einem schöpferischen Wie kommen mir Antworten – auch Antworten auf das Was – die sonst nicht gekommen wären. Etwas, von dem ich heute noch gar nichts weiß und dass ich heute noch nicht denken kann.

Kreative Prozesse, Innovationsprozesse, Veränderungsprozesse – einzeln oder in der Gruppe – sollen zumeist eben nicht die Fortschreibung der Vergangenheit sein. Ich vermute, dass Albert Einstein’s andere Ebene diese andere innere Verfassung ist. Probleme löse ich nicht auf der gleichen Ebene, auf der sie entstanden sind. Die andere Ebene ist möglicherweise weniger in der äußeren Dimension zu suchen – andere Prozesse oder andere Techniken – sondern in der inneren Dimension. Das Potenzial brummt in der inneren Arbeit.

So mache ich mich nun auf eine Buchautorinnen-Reise und lade Menschen dazu ein mich zu begleiten und ihre (inneren) Erfahrungen über ihr eigenes „Wie“ zu teilen. Die Perspektive des Buches soll die vielen Bücher auf dem Markt über Tools, Prozess- und Organisationsentwicklung aus der äußeren Dimension ergänzen. Die meisten Bücher legen den Fokus auf das Was. Ich finde die inneren Erfahrungen beim Ausprobieren von neuen Prozessen spannend. Sie machen für mich den Unterschied aus. Sie motivieren mich es auch auszuprobieren. Sie zeigen mir, dass ich verletzlich, unwissend und ahnungslos sein darf. Sie zeigen mir, wo die eigentlich interessanten Ressourcen für innovative und kreative Prozesse verborgen sind. Nicht (nur) im Außen in den Techniken, sondern auch im vielschichtigen Innern. Das bringt Lebendigkeit ins Arbeiten. Ohne die innere Dimension sind die tollsten Tools aus meiner Sicht leere Hüllen.

Meine innere Öffnung für einen daher gesagten Satz bringt mich also in ein neues Buchprojekt. Ich weiß, wie ich zuhören und schreiben möchte: mit Neugierde, Mitgefühl und Mut. So und nicht anders. Ich bin gespannt, auf alles was ich lernen und teilen werde im Laufe diesen Jahres. Und ich wünsche mir dabei viele von Euch inspirieren zu können Dinge einfach mal anders anzugehen.

Siehe auch:

Erkennen und benennen – wie wir Rumpelstilzchen in unseren Meetings entmachten. Warum innere Arbeit am Arbeitsplatz so wertvoll ist.

Listening Circles – Öffnen für neue Möglichkeiten. Mit Kopf, Herz und Hand.

Zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht – Warum der Zustand des Nichtwissens so wichtig ist.

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